SICH AUS DEM STAUB MACHEN

Man ist eine Person, die dies und das tut. Man ist für mehreres verantwortlich. Man ist ein allgemeiner Diener. Man ist im Büro ein Karl Faktor. Man ist jemand, der nie einen Job mag, nie auch einen länger behält. Man ist noch immer unter denen, die Geld verdienen müssen. Man muss erkennen: Man ist nichts, niemand, ohne das besondere Etwas.

Als Person unbekannter Herkunft hat man die Kopie einer Geburtsurkunde zu Händen, die nicht glaubwürdig ist; ein Trost im Trostlosen: Wer keine Herkunft hat, hat auch keinen Stamm. Als wäre man eine lebende Person, ergeht man sich mit der Naivität eines Affen in dem zerstreuenden Flüstern seiner Einsamkeit. Man ist also jemand, der so tut als ob; nichts ist einem angenehmer als Anderen, die meinen einen zu kennen, ein ganz falsches Bild von sich zu geben.

Irgendwann einmal teilte mir eine andere Person mit, wer raucht, wird kaltblütig. Die Umstände dieser Mitteilung sind mir zum Glück nicht mehr erinnerlich. Jedoch ist man sich ziemlich sicher, als sei es eben erst gewesen, das man sich dieses Wort damals als einen sehr guten Ratschlag übersetzt hat, seitdem raucht man, was das Zeugs hält. Damit gewöhnt man sich die Natur ab. Da bleibt immer ein Hauch, ein Rest, das zeigt sich immer. Das ist nicht wenig, denn von der Wahrheit bleibt hier wie dort der Hauch, jenes echte Werk Gottes, ein Nichts, ein Diener, dem sich Spiel und Ernst bis ins Unendliche verwirren. Daß sich alles in alles verwandeln läßt, ist Lust und Schrecken der unaufhörlichen Verwandlung der Dinge, und ergibt bis dato noch immer den Rest des gesellschaftlichen Reichtums als generalisierte Proletarität. Wie sagen Fabrikarbeiter treffend: Es bleibt immer ein bisschen Schwund. Das fängt mit der Verachtung des imaginären Materials an und verdichtet sich bis zur Selbstverachtung. Das Wissen, mit dem man sich dabei ins Recht setzt, verachten zu dürfen, ist die Wunde des Nichtwissens, und diese Wunde wird mit einem Leben geahndet, das die Todesstrafe ist.

Bereits vor langer Zeit ist man unter die blutleere Masse der Gehaltsempfänger geraten. Vom Regime der Zerstreuung beschirmt, dämmert man in der Gegenwart einer weitverzweigten Entropie. Was nützt es, mir oder der Gesellschaft vorzuwerfen, dass man verrückt sei, weil man sich vorzustellen vermag, dass die ganze Weltgeschichte nichts anderes ist als eine Fliege, die sich verbrennt.

Man hat erfahren, dass der Mensch dem anderen Menschen ein Dämon ist, so lebt man, soweit wie es einem nur irgend möglich ist, zurückgezogen. Einen Kapitalisten, der konstatiert, dass er nun endlich so viel Geld hat, dass er keinen mehr sehen muss, kann man verstehen. Man kennt jemanden mehr als jeden anderen Hund, der den Mond anheult. Ihm gegenüber webt und säumt man sich rum. Man lebt vom Verzehr des Fleisches der Toten. Die Urteile stimmen, die Toten sind schuldig.

Man erstarrt in der Tat, wenn sich etwas bewegt, gibt es doch nichts Feineres als sich den Geboten der Dinge zu unterwerfen, als im Denken die Bestimmungen des Gegenstandes aufzunehmen. Man ist verflucht, weil man dem Denken mehr Wert verleiht als dem Leben.

Es ließe sich sagen, man kann für nichts. Fürs bloße Warten auf das große Umsonst ist man sich zu schade. Jedem seine eigenen Eitelkeiten, nicht wahr. Stets scheint das Leben durch frischen Eindruck als die eine Aufschiebung davon. Das große Umsonst wartet in jeder Hinsicht nicht darauf; damit weiß man auch nicht: wie weiter. Der Staub, nirgendwohin gehörend, sich stets als unerwünschte Materie am falschen Platz ausbreitend, ist dazu der Rest, der weder völlig eingeholt noch ganz entfernt werden kann. Er legt keine Spuren durch eine prinzipielle Negation, sozusagen als eine Abstraktion von Negation, als abstrakte Negativität, mit der die Negation der Negation als sich bewegende Dynamik illusorisch gewähnt wird, sondern in einer anscheinend ursprünglich gegebenen Negativität, die man auch nicht mehr einzuholen vermag, zeigt der Staub auf die Kontingenz, Notwendigkeit und Zufall der bestimmten Negation, wie man es von der Materie als dem nervösen Genius her selbst zu lernen ist. Staub als Proto-Materie legt Spuren von Negation, die durch einen Kampf bekämpft wird, der nichts ausrichtet. Und der Staub findet sich überall, er liebt die Oberflächen, die die Tiefe unserer alltäglichen, banalen, profanen und trivialen Existenz bezeugen, aus der die Welt, so glatt, so sauber, das man sich drin spiegeln kann, zweifelsohne besteht. Es bleibt einem auch nichts anderes übrig, man geht den Weg des Staubes. Man folgt ihm nach, anderes vermag man nicht, der man selber nur aus der Staub und Asche gebildet ist, dem alles Tun nichts aus eigener Macht ist.

FACTOTUM

Aus der Ferne hört man ein sonores Brummen eines Autos, das Quietschen von Reifen, das Aufheulen eines Motors. Das schließt sich zu einem Bild zusammen von der finsteren Entschlossenheit von Schüssen, so das die Nacht bis zu meinem Ohr durchdringt, die dem Lärm, der eine dramatische Tragödie anzeigt, eine linkische Farce sein lässt, um umso deutlicher mit ihrem Schweigen diesen Krach zu bannen, in dem sie die Blocks, die Strassen, die mit Müll übersäten Grünstreifen erfasst, so das kein flehendes Mahnen und wisperndes Winseln mehr ihr Treiben aufhält. Wer das Zeugs zum Mörder oder Vergewaltiger hat, dieses Detail des mysterium iniquitatis vollendet sich immer wieder zu einem Rätsel mehr in dieser Welt. Der Mann erlischt, mit einer seltsamen, plötzlich gedeckten Klangfarbe senkt das todesmutige Motiv sich herab. O überschwänglicher und unersättlicher Jubel der Vereinigung im ewigen Jenseits der Dinge. Die Welt des Truges und der Trennung geht unter im Wunderreich der Nacht, Schlaf und Tod sind eine restitutio in integrum. Doch »hören Sie nicht das entsetzliche Schreien ringsum, das man für gewöhnliche die Stille heißt«?

Zart ist das Fleisch und zerbrechlich der Gedanke. Plötzlich ist ein silbriges Loch in einem asphaltenen Grau zu sehen, in dem man die Kunst des Streifschusses kennenlernt. Dann passiert nichts, es passiert weniger als ein gefühltes Nichts. Da fallen Frösche vom Himmel runter. Man registriert nicht besonders gerne solchen sinnlosen Ekel. Das passiert nicht aus reinem Zufall, aber um das beweisen zu können, dafür ist man zu phantasielos und zu pedantisch. Am liebsten würde man das mittels des eigenen Schreibens gestalten. Doch dazu hat man kein ausreichendes Talent. Deshalb lässt man es sich schlicht aus zufälligen Quellen zutragen. Man wartet, schiebt den Anfang auf, ja nicht mit dem Anfang anfangen, doch wenn man begonnen hat, trägt sich das Material von überall zu. Dabei kennt man keine Skrupel auch abzuschreiben. Man gibt sich etwas eingebildet: Man glaubt, dass die Wirklichkeit einem manche Dinge zuzuliefern vermag. Wie der Hotelgast, der den Hotel Boy beauftragt hat, etwas Bestimmtes herbeizuschaffen, der auch abliefert, jedoch Unerwartetes. Man ist auch zu faul, sich wirklich selber etwas dazu auszudenken. Zu schreiben, man würde die Sache einstellen, wäre ziemlich gelogen, denn eigentlich hat sie sich einem gar nicht gezeigt. Am Ende variiert man sein Unwesen nur noch um ein weiteres: Man stellt sich selbst als einen Schriftsteller vor, der in dem Stoff, den er sammelt, umkommt, und kurioserweise lächelt man vergnügt, ob dieser ridikül erbarmungswürdigen Vorstellung.

Es ist klar, dass man nichts zu erzählen hat. Und weil aus diesem Text bloss ein sprödes Licht hervor quillt, so ist er tiefgreifend fragwürdig. Wenn das man gut geht: ein dunkles Herz wächst. Der Wärter nimmt einen Kamm, und pfeift seinen Blues drauf. Man sitzt im Knast fest, man erinnert sich der verletzten Häute der Großstädte, daraus sprudelt das Heute. Eingeschlossen ist man. Nicht das Zimmer ist das Gefängnis, sondern man ist es selbst. Und wie ein Klischee: Man hat nichts anderes eingepackt als den Hegel. Also hat man nur die Bibel und die Phänomenologie des Geistes zu lesen. Man muss altern, zurückgehalten von der traurigen Macht eines Raumes. Übel vertut man sein verstümmeltes Leben. Steckt das eigene Denken derart noch in einem, wie könnte es da um den Leib besser bestellt sein. Es müsste schon woanders sein.

Warum bestaunt man nur die Finsternis, die Einsamkeit, aus der keine Stimme, kein Laut, kein Heulen zu hören ist? Das einzige lebendige Geräusch sind zischende Wortkaskaden, die wie antike Schatten hallen, nur weil einen die große Unbegreiflichkeit ergriffen hat, die bis dato unbemerkt in einem nistet, jetzt aber unverkennbar ihre Macht entfaltet. Sie und die Einsamkeit haben sich in einen warmen Mantel verwandelt, in den man eingewickelt ist. Man ist nichts, niemand, ohne das besondere Etwas und man versteht alles und jeden. Man weicht keinem, als man sich zur Einsamkeit mit berauschtem Gemüt neigt, sich zu ihr beugt, sich zu ihr senkt, aufhebend die Auflösung der Wahrnehmbarkeit.