IM UMFELD EINER LEKTÜRE DER »RECHERCHE« – Katarakt vom Laut zur Schrift

IM UMFELD EINER LEKTÜRE DER »RECHERCHE«1

»Keine Stimme, kein Laut, kein Heulen war zu hören; der […] einzige Ton des Lebendigen […] war ein Zischen.“2

»The face that launched a thousand lengthy essays about hauntology.«3

»Katarakt vom Laut zur Schrift.« – Keiner zeigt eine Falte im Gesicht – die »Jetztzeit« ist zu ernst. Bereits deren nominelle Gestalt, hässlich und kakophonisch als greulicher Zischlaut, einer Schlangensprache würdiger als einer Menschensprache, erinnert einen plötzlich an die »profane Erleuchtung«.4 Ihre Bilder kommen wie in einem Platzregen, was sie trifft, das trifft sie. Als Leser in der leibhaftigen Geistesgegenwart des Schreibens, das sich an der Grenze des Schweigens bewegt, spricht man das Wort nicht aus, das einem angesichts der Exerzitien, denen man sich unterzieht, um sich in der Artikulation zu probieren, nicht so sehr für die Zunge, sondern eher fürs Auge und die tastenden Finger – also eher als ein Schriftwort – geeignet zu sein scheint. Man befürchtet schlicht in diesem Moment, dass einem die Artikulation durch idiotisch bramarbasierendes Gewäsch, wildes Gelächter, im unbestimmten Durcheinander schmutzigen Geredes, zerschlagen und zerstreut wird.5

Oft will man fort aus der Gegenwart der schroffen und spröden Wirklichkeit, will sich von vornherein nicht auf eine Konfrontation mit ihr begeben, für die man weder geschaffen ist, noch je geboren wurde. Nichts und niemand, nicht mal man selbst, kann es evident machen, dass man für die Gegenwart und deren zufälliges Moment da ist. Eventuell besteht der Sinn der Gegenwart darin, entweder aus ihr zu flüchten oder die nächste Flucht aus ihr vorzubereiten, zumindest kann man sich nicht daran erinnern, dass man jemals etwas anderes getan hätte. Zwar will man keinem Lob des Eskapismus das Wort reden, man wäre damit jedoch nicht nur gegen sich selbst sondern auch im Sinne einer »negativen Anthropologie der Massengesellschaft«6 allzu selbstgerecht, würde man das Lob des Eskapismus nur denunzieren wollen.

Wie es dazu kommt, dass es dem Gesicht nicht gestattet wird, nach außen hin Falten zu werfen, kann anhand der Frage, »darf ich ihnen die Fresse polieren«, ermessen werden, die dem Boxen als Intrikat gesichtsphilosophischer Praxis7 vorausgeht, derweil man durch spezifisches Abstraktionsvermögen und besondere Einbildungskraft sich in leibhaftiger Geistesgegenwart einen kategorialen Verdacht extrapoliert, dass die in der angestrengten und betrüblichen Phrase zusammengefasste Barbarei, »das hättest du sehen sollen, das war ein Bild für die Götter«, während einer erstarrten Unruhe und Bilderflucht sich ereignet, der keine fortschreitende Bewegung eigentümlich ist, weil die Innerlichkeit immanent zur Situation aufgepumpt durch Vergangenes, durch affizierende Affekte ungeheuerlich anschwillt, als werde man an der unpersönlichen Macht eines Zeitbanns zerniert, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint. Es erscheint einem wie eine Innerlichkeit, die keine Falten wirft, deren Bilder wie ein seelenloses Beiwerk über einem Display wie von fremder Hand gewischt werden, die den glatten Flächen, aus der jede Erinnerung an eine Angst, an jede Arbeit, Anstrengung, an ein Begehren und an Leiden ausgetrieben sind, nur allzu sehr ähneln; sie ist weder die eines Falters, noch eines Stalkers oder Surfers, als man plötzlich auf die Idee kommt, dass man die »Gefährlichkeit der großen Ebene«8 entdeckt hat.9

Die Innerlichkeit als Farce hingegen ist eine, die man sich selbst am liebsten nicht zutraut. Man will nicht wissen, wer man ist, jedoch weiß man zugleich es nur allzu gut. Man schämt sich für das Interieur, mit dem man sich aufführt; es ist einem zu peinlich, es herzuzeigen, und man will schon gar nicht darüber reden, dass die Betrachtung des Körpers von besonderem Nutzen für die Welt darstellt, da es einem äußerst fragwürdig erscheint. Wozu begegnet man einem Anderen? Was ist das für eine »Begegnung«, bei der die Frage nach dem »Wozu« wegfällt? Das könnte wirklich einmal interessant werden, wenn dies nicht permanent von einem gnadenlosen Triebwerk, dessen Heteronomie einem unverständlich und unbegreiflich erscheint, als das denunziert, was eben besonders ohnmächtig sein muss, auch wenn dies eine Autonomie in der Begegnung mit dem Anderen denkbar werden lässt. Kann man von vornherein es dem Anderen gestatten, dieses »Wozu« tilgen zu dürfen, bzw. zu können? Kann wirklich überhaupt behauptet werden, dass man jemals einem anderen begegnet ist? Man kann es anscheinend immer nur dann, wenn sich der Andere schon entfernt hat, wenn man ihn in einer gewissen Distanz, also durch das exakte Beobachten eines bestimmten Pathos, in dem man das Verhältnis zu sich selbst und zur Welt zu entfalten vermag, oder erst, wenn überhaupt ein Verhältnis zum anderen abgebrochen worden ist. Wenn man nicht schon dem Irrtum verfallen ist, dass der andere durch ein Verhältnis mit ihm sich berühren oder in einer spezifischen Gestalt evozieren lässt. Man wird nie ganz ausschließen können, dass der andere immer auch in einer fremden Opazität sich zu einem bewegt.

Dass das Insistieren auf eine Innerlichkeit, deren Identifikation mit dem Subjekt zugleich jedoch von der gesellschaftlichen Objektivität als getrennt behauptet wird, nicht mehr nur eine „verdummte Intelligenz“10 demonstriert, sondern eine Pathologie, die Hannah Arendt keineswegs mit der »Banalität des Bösen« auf den Begriff gebracht hat, zeigt sich an Eichmanns Auftreten in dem Prozess, der ihm in Jerusalem gemacht wurde.11 Eichmann beanspruchte in den Verhandlungen dort für sich zwar zu bekennen, Organisator des Massenmordes gewesen zu sein, aber ohne verantwortliche Partizipation, da er all das, was er dafür tat, so seine Verteidigung, auf Befehl von oben und selbst nicht innerlich nachvollzogen habe. Im Innersten sei er sogar dagegen gewesen, denn er behauptete im Jerusalemer Prozess allen Ernstes: „Ich war nie Antisemit.“12

Die Innerlichkeit als Wundmal der kosmischen Intimität eröffnet einem die Aporie, als dialektischer und historischer Materialist begreifen zu müssen, was „furchtbares hat die Menschheit sich antun müssen“.13 Und das ist schier unmöglich sich vom Leib zu halten, da einem die Erkenntnis davon keineswegs automatisch zukommt. Man gewinnt sie auch nicht, in dem man sich durch Übung darauf zurichtet, ebenso ist der Glaube unangemessen, dass die Wahrheit über diese historische Dimension einem schon nicht davon laufen werde. Man muss sich bewusst sein, dass man eventuell nur noch erkennen kann, wie jemand, dem hinieden auf Erden wohl kaum die rechte Zeit beschert werden wird. Diese Nötigung verdeutlicht einem Marxens Satz »es genügt nicht, daß der Gedanke zur Verwirklichung drängt, die Wirklichkeit muß sich selbst zum Gedanken drängen«14 als das Stockholm-Syndrom einer Abduktion.

Sieht man sich als ein Schriftsteller immanent zur »wesentlichen Einsamkeit des Werkes«15 herausgefordert, versucht man sich eine Wirklichkeit zu entwerfen, in der man nach Worten sucht, die einem die Grenzen des Denkens, des Schreibens und der Welt deuten, und nichtsdestotrotz das Gebiet erschließen, wo ein historisches Subjekt zu vermuten wäre, so dass sich die kosmische Intimität der Welt,16 die durch spezifische Immanenz dem Transzendenten keinen Ausweg lässt, auch keinerlei Innerlichkeit aufweist,17 und sich durch verführende und versuchende Geister des erotomorphen Cosmopolis in einer konkreten Identität seines Gegenstandes zu erkennen zu geben vermag. Dort wo ein aufgebrochenes Kuvert mit gestohlenem Geld lockt, befriedigt die in der traumlosen Gewalt der Wirklichkeit aufgelöste Nabelschnur, indes der Nabel von dem träumt, was das Blut begehrt; gleichwohl es entsetzt, erscheint es im selben Augenblick gleichgültig. Das man das Kuvert dorthin platziert hat, zeigt das eigene Einverständnis mit dem Überleben der Anderen und dem Überlebt-Werden durch die Anderen an. Man hat bereits einige überlebt und man wird von denjenigen überlebt, die einem aus den Eingeweiden lesen werden, denen man nichts mehr hinzu zu fügen hat. Aber wie bloß – jetzt nicht, nicht mehr – die Anderen überleben? Wie den Tod überleben, erst recht dieses Leben, das nicht lebt? Was ist, wenn die Toten ihre edelste Speise unter den Namen der Identitäten durch die Auferstehung des Fleisches verwandeln? Wann einer bereits verstorben ist, ist ihm nicht mehr anzusehen; nicht aus dem Grund, weil die Auferstehung des Fleisches, die die Verheißung der Namen ward, die noch leben.

Zwar schlägt dem Anschein nach an der Innerlichkeit die gesellschaftliche Objektivität qualitativ um, wenngleich das psychische Interieur nicht nur durch die gesellschaftliche Objektivität umgestülpt wird, sondern bereits unterhalb der Vorstellungen, die einen als ganze Person erscheinen lässt;18 zudem scheint auch noch die sinnliche Wahrnehmung umgewälzt, aus der die Innerlichkeit die naturgeschichtlichen Elemente ihres Konstitutionsverhältnisses empfängt, so hat man sich durchs Philosophieren diesen Vorgang nicht durch bloßen Wechsel der Kategorien, bzw. durch konfigurativen Wechsel der begrifflichen Ensembles anzuzeigen, sondern durch konstellierendes Denken zu begreifen, dass das Phänomen nicht als Exempel des Begriffs nivellierend bestätigt.

Wie widerlich dieses gedrängte Zusammensein nun einem auch noch immer erscheinen mag, fällt es einem nichtsdestotrotz schwer im Schweigen des Schreibens zu leben, derweil dessen unwahrnehmbare Stille einem das aus Vorstellungen konstruierte Gehäuse lakonisch zertrümmert. Dieses Grauen, welches man daraus empfängt, lässt sich nicht beweisen, wenn man allein bleibt. Und was ist man anderes als allein, wenn man schreibt? Um doch in diesem Schweigen leben zu können, braucht man Worte, die einen wie Kamele auf der Reise durch die Wüste tragen.19 

1 Mit »Recherche« ist Prousts Werk À la recherche temps perdu genannt. Das Wort »Umfeld« gebraucht man, weniger um von einem vermeintlichen Kanon zur Recherche zu schreiben, als vielmehr eine Art Resümee zu artikulieren, um damit sich selbst verständigen zu können, um die literarischen Erfahrungen zu diesem Ereignis intimer Lektüre zur Sprache zu bringen. Man schreibt an Texten, in denen man ästhetische, literarische und gesellschaftliche Phänomene ideologiekritisch zu reflektieren versucht. Aber man fühlt sich, trotz der Notwendigkeit auf den möglichen Ausdruck der gesellschaftlichen Arbeitsteilung durch die Textgattungen reflektieren zu müssen, sich weder auf die gegebenen Gattungen der Literatur noch der Theorie verpflichtet. Dieser Text, der sehr lose Eindrücke, quasi wie fragmentierte Skizzen von Ideen durch die Lektüre provoziert, nimmt darin insofern eine besondere Bestimmung an, weil man ihn quasi schwebend über die nicht zu überbrückende Diskrepanz von Leben und Poesie begreift. Während man an diesem schreibt, beschleicht einen der unterirdische Eindruck vom Einfluss der Lektüre der »Recherche«, auf die einen vor allem Adorno und Benjamin aufmerksam machten. Während man bei Benjamin herauslas, dass er an Prousts »Recherche« das Objekt seiner schriftstellerischen Einflußangst entdeckt hatte, so eilte einem der Ruf Prousts als promptes Genie der Prosakunst durch Adornos Kleine Proust-Kommentare entgegen; seine über die Gesammelte[n] Schriften (Sigle: GS) vielfältig verstreuten Bemerkungen zu Prousts Werk und Benjamins Essay Zum Bilde Prousts provozierten einen letztendlich zur Lektüre der »Recherche«. Walter Benjamin, GS II.1, Literarische und ästhetische Essays, Zum Bilde Prousts, S. 310-324, Frankfurt/M. 1991; Theodor W. Adorno, GS 11, Noten zur Literatur II, Kleine Proust-Kommentare, S. 203-214, Ff/M. 2003.

2 Herman Melville, zit. n. Uwe Nettelbeck, Die Reise des Tupak Yupanki, S. 182, in: DIE REPUBLIK, Nr. 41-49, 26. September 1979.

3 Dazed Digital zit. n. Klaus Walter, Geschminkte Stimmen, Jungle World Nr. 10, 6. März 2014: http://jungle-world.com/artikel/2014/10/49465.html

4 „Die wahre, schöpferische Überwindung religiöser Erleuchtung […] liegt in einer profanen Erleuchtung, einer materialistischen, anthropologischen Inspiration.“ Die Erkenntnisse die der „Sürrealismus“ bietet, so Benjamin, ähneln zwar die des Mystikers, doch da diese Erkenntnis schwierig herzustellen ist, ist sie kein Geheimnis, allenfalls ein Rätsel, weil sie sich dialektisch verhält. Sie ist „die wahre, schöpferische Überwindung religiöser Erleuchtung“, zu der die religiöse Erfahrung (ebenso wie der Haschischrauch oder die Liebe) lediglich eine „Vorschule“ abgibt. Walter Benjamin, GS II.1, Der Sürrealismus, S. 297, Frankfurt/M. 1991.

5 Bei Ovid heißt es »nomina sunt odiosa« – »Namen tun weh«. »Nomina sunt ipso paene timenda sono«- »Schrecken erregen sie mir, hör ich die Namen auch nur.« [Ovid, Werke in zwei Bänden, Aus dem Lateinischen übersetzt von Alexander Berg, Wilhelm Hertzberg, E. F. Mezger u. Reinhart Suchier. Herausgegeben von Liselot Huchthausen, Bd. 2, Briefe berühmter Frauen, Heroides, XIII. Laodamia an Protesilaus, S. 146, Berlin 1973.] Jener Ovidsche Schrecken durch Namen lässt sich ähnlich auch durch die kryptische Theorie der Namen Prousts vernehmen. Der Name »des holden Sängers im weißen Haar« Bergotte nimmt in der Narration der »Recherche« den Rang eines Ereignisses an: „Der Name Bergotte ließ mich auffahren wie der Knall eines auf mich abgeschossenen Revolvers, …“ [Marcel Proust, Im Schatten der jungen Mädchen, Übersetzt von Walter Benjamin und Franz Hessel, S. 122, in: Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, Übersetzungen, Supplement II, Hrsg. v. Hella Tiedemann-Bartels, Frankfurt/M. 1987.] Der Name geht Bergotte schockartig voran, bevor die Erzähler-Figur jenes Individuum identifizieren kann, das mit diesem Namen dem Erzähler vorgestellt wird: „Gleichwohl waren sechszehn Personen zugegen; daß sich darunter Bergotte befand, davon wußte ich nichts. Nachdem Frau Swann mich mehreren Gästen, wie sie es ausdrückte, genannt hatte, sprach sie plötzlich nach meinem Namen und in demselben Tonfall wie diesen (und als wären wir nur zwei Tischgenossen, die beide gleich froh sein müssten, einander kennen zu lernen) den Namen des holden Sängers im weißen Haar aus.“ [a. a. O., S. 121 f.] Der dritte Teil von »In Swanns Welt« (Ortsnamen. Namen überhaupt, S. 505-564, Frankfurt/M. 2000] berechtigt von einer »Theorie der Namen« sprechen zu dürfen. Auch wenn dort keineswegs eine solche artikuliert ist, deuten sich nichtsdestotrotz Konstellationen der Namen zum Begehren, zur Lust, dem Trieb, zum Wunsch und auch zur Angst an [Vgl. In Swanns Welt, Dritter Teil: Ortsnamen. Namen überhaupt, S. 505-564, Frankfurt/M. 2000.], zu denen Adorno, ohne jedoch dabei auf die Angst zu sprechen zu kommen, bemerkt: »Was metaphysische Erfahrung sei, wird, wer es verschmäht, diese auf angebliche religiöse Urerlebnisse abzuziehen, am ehesten wie Proust sich vergegenwärtigen, an dem Glück etwa, das Namen von Dörfern verheißen wie Otterbach, Watterbach, Reuenthal, Monbrunn. Man glaubt, wenn man hingeht, so wäre man in dem Erfüllten, als ob es wäre. Ist man wirklich dort, so weicht das Versprochene zurück wie der Regenbogen. Dennoch ist man nicht enttäuscht; eher fühlt man, nun wäre man zu nah, und darum sähe man es nicht. Dabei ist der Unterschied zwischen Landschaften und Gegenden, welche über die Bilderwelt einer Kindheit entscheiden, vermutlich gar nicht so groß. Was Proust an Illiers aufging, ward ähnlich vielen Kindern der gleichen gesellschaftlichen Schicht an anderen Orten zuteil. Aber damit dies Allgemeine, das Authentische an Prousts Darstellung, sich bildet, muß man hingerissen sein an dem einen Ort, ohne aufs Allgemeine zu schielen. Dem Kind ist selbstverständlich, daß, was es an seinem Lieblingsstädtchen entzückt, nur dort, ganz allein und nirgends sonst zu finden sei; es irrt, aber sein Irrtum stiftet das Modell der Erfahrung, eines Begriffs, welcher endlich der der Sache selbst wäre, nicht das Armselige von den Sachen Abgezogene. Die Hochzeit, bei der der Proustsche Erzähler als Kind zum ersten Mal die Duchesse de Guermantes erblickt, mag ganz so, und mit derselben Gewalt fürs spätere Leben, an anderer Stelle und zu anderer Zeit stattgefunden haben. Einzig angesichts des absolut, unauflöslich Individuierten ist darauf zu hoffen, daß es genau dies schon gegeben habe und geben werde; dem nachzukommen erst erfüllte den Begriff des Begriffs. Er haftet aber am Versprechen des Glücks, während die Welt, die es verweigert, die der herrschenden Allgemeinheit ist, gegen die Prousts Rekonstruktion der Erfahrung entêtiert anging. Glück, das einzige an metaphysischer Erfahrung, was mehr ist denn ohnmächtiges Verlangen, gewährt das Innere der Gegenstände als diesen zugleich Entrücktes. Wer indessen an derlei Erfahrung naiv sich erlabt, als hielte er in Händen, was sie suggeriert, erliegt Bedingungen der empirischen Welt, über die er hinaus will, und die ihm doch die Möglichkeit dazu allein beistellen.« Adorno, GS 6, Negative Dialektik, III. Meditationen zur Metaphysik, 4., S. 366 f., Ff/M. 2003. Vgl. Anders Bartonek, Philosophie im Konjunktiv, II. Das Utopische, 1. Spektrum des Utopischen, i) Metaphysik und das Messianische, Negative Metaphysik?, S. 209-216, Würzburg 2011.

6 Theodor W. Adorno, GS 4, Minima Moralia, Dritter Teil, Ne cherchez plus mon cœur, S. 191; GS 6, Negative Dialektik, Vorrede, S. 11; GS 20.1, Vermischte Schriften I/II, I. Theorien und Theoretiker, Zu Ulrich Sonnemanns »Negativer Anthropologie«, S. 264, Frankfurt/M. 2003.

7 Dank des Blogs fundgruber ehemals dr0fn0thing [#gesichtsphilosophie] wurde man auf diesen Neologismus »Gesichtsphilosophie« aufmerksam, der in der Tat keineswegs bloß ornamental auf ein eminent inhaltliches Problem kulturindustrieller Produktion verweist. Jedoch erst nachdem man seine erste Fehllese »Geschichtsphilosophie« realisierte, tat sich für einen selbst die plötzliche Erkenntnismöglichkeit durch diesen Begriff Gesichtsphilosophie auf. Vgl. auch: http://el.blogsport.de/2011/09/26/gesichtsphilosophie/

8 »Die Gefährlichkeit der großen Ebene« ist der Titel eines »Reise-Romans« von Ror Wolf. Man findet bei Ror Wolf desöfteren derartige Titel, die in ihrer makrologischen Tendenz auf eine Sprache der Theorie ironisch anspielen, die aber als Titel für Geschichten ausgewählt sind, in denen der Erzähler mittels eines extremen Nominalismus dementiert, was er im nächsten Moment behauptet. Es gibt keine Gewissheiten: »Fantasie und Realität sind gleichberechtigt oder anders gesagt: Das Fantastische ist zugleich das Reale.« Man selbst hat dies merkwürdig, aber gar nicht mal so sehr abwegig mit Walter Benjamins »Eiswüste der Abstraktionen« assoziiert, ebenso dachte man dabei an Brechts Mühen der Ebenen, dass nicht unbedingt als Metapher für die Arbeit an der Gesellschaftsordnung des DDR-Sozialismus interpretieren werden muss. Bertolt Brecht, Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Bd 15, Gedichte 5, Wahrnehmung (1949), 1993. S. 205. Ror Wolf, Die Gefährlichkeit der großen Ebene, Prosa III, Schöffling.

9 Obwohl man sehr wohl weiß, dass eine Denkmode allein nichts zur Sache tut, ist man nichtsdestotrotz noch lange nicht davon überzeugt, dass man mit dem Denken sich zu ihr völlig gleichgültig verhalten kann, bewegt sie sich doch im Zusammenhang mit Gesetzen, Formalitäten und Zwangssystemen, welche sich (in) den Charakter falten, deren Spuren zeitlebens bleiben; dennoch scheint es auch etwas völlig anderes zu sein. Die Wahrheit ihres Schilderns bürgt für die frappante Ähnlichkeit mit der sich einem die Jetztzeit kundgibt, die die Zeitgenossen freilich am besten zu beurteilen vermögen, die sich in haltlosen Faseleien über das historische Moment verstricken, aus denen sie dann doch wie verabredet wieder hervorkehren. Die Denkmode bürgt für sich, wie von sich selbst als frohe Mission, wo man mit fliegenden Puls spricht, es einem sozusagen aus dem Mund kommt, in dem Augenblick schon, da er sich auftut, ins Leere spricht, von der man bis dato noch nie richtig abschwören konnte. Auch wenn man sich bis hierher bloß allein verirrt haben sollte, muss das noch lange nicht besagen, dass es einen in die Vergangenheit schauenden Propheten mehr geben könne; doch wo trifft man noch solch einen Begabten an.

10 Vgl. Theodor W. Adorno, GS 10.2, Kulturkritik und Gesellschaft I/II, II, Eingriffe. Neun kritische Modelle, Meinung Wahn Gesellschaft, S. 578, Ff/M. 2003.

11 Claude Lanzmann lässt in seinen neuesten Film »Der Letzte der Ungerechten« (2013) seinen Protagonisten, den Wiener Rabbiner Dr. Benjamin Murmelstein sagen: »Eichmann war nicht banal. Eichmann war ein Dämon.«

12 Der seine Geburt in seinen Memoiren, die er während seiner Untersuchungshaft mit Worten eines ihm besonders eingefleischten, weil von ihm selbst internalisierten NS-Jargon benannte: das er „in das irdische Leben, als Erscheinungsform Mensch, eintrat“. Seine Behauptung hingegen vorm Jerusalemer Gericht nie ein Antisemit gewesen zu sein, kennt man aus dem Film Ein Spezialist [1999] von Eyal Sivan. Vgl. Eichmann-Prozess auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=Fv6xbeVozhU&list=PLCDC6A29830CCF910.

13 Theodor W. Adorno, GS 3, Dialektik der Aufklärung, Begriff der Aufklärung, S. 50, Frankfurt/M. 2003.

14 Karl Marx, MEW 1, Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, S. 386, Berlin 1976.

15 Vgl. Maurice Blanchot, Die wesentliche Einsamkeit, S. 143-159, in: Französische Essays der Gegenwart, Herausgegeben von Alain Lance und Maurice Regnaut, Berlin 1985. Maurice Blanchot, Der literarische Raum, Die wesentliche Einsamkeit, S. 11-27, Mit einem Anhang: Die wesentliche Einsamkeit und die Einsamkeit in der Welt, S. 261-264, Herausgegeben von Marco Gutjahr, Aus dem Französischen von Marco Gutjahr und Jonas Hock, Zürich 2012; oder: Maurice Blanchot, Das Neutrale. Philosophische Schriften und Fragmente, Herausgegeben von Marcus Coelen, Mit einem Vorwort von Jean-Luc Nancy, S. 93-109, Zürich/Berlin 2010.

16 Die kosmische Intimität geht über das psychische Interieur hinaus, nicht nur dass sie bereits durch das marxsche Unbewusste einen anderen Zeitkern gefunden hat, als in den Konstitutionsbedingungen des psychischen Apparates, der entgegen allem Anschein personal weder organisch noch ganzheitlich strukturiert ist, sondern den fragmentierten Hohlraum eines Ungeborenen aufweist, das sich als ein Unzerstörbares entdecken lässt, wenngleich es durch die systematische Tendenz der negativen Objektivität der gesellschaftlichen Vermittelbarkeit nur als ein leerer Knoten anerkannt werden kann, den man nur entdeckt, weil das Individuum als gesellschaftliches Ensemble bei aller Strukturiertheit weder sich gleich noch sich selbst dasselbe zu bleiben vermag. Was nicht das einzige Subjekt, als auch nicht das Einzige eines Subjekts ausmacht, weil das Subjekt bereits durch die An- und Abwesenheit des gegenständlichen Wesens wenn auch diskret, nichtsdestotrotz konkret exponiert ist.

17 Assoziiert man dies mit Adornos Kritik des Kierkegaardschen Begriffes von der »Innerlichkeit«, fällt auf, dass die Phrase »keinerlei Innerlichkeit« noch etwas zu ungenau angibt, was durch Dialektik vom subjektiven Moment auch als Dynamik von Außen und Innen, die als Graduationen des Immanenten zu begreifen sind, doch noch zu artikulieren wäre; was einem schon jetzt nur möglich erscheint, wenn man auf ein Denken im Sinne des spekulativen Satzes Hegels keineswegs verzichtet. Vgl. Theodor W. Adorno, GS 2, Kierkegaard. Konstruktion des Ästhetischen, bzw. II. Konstitution der Innerlichkeit, III. Explikation der Innerlichkeit, S. 38-98, Frankfurt/M. 2003. Vgl. Hermann Schweppenhäuser, Vergegenwärtigungen zur Unzeit?, Gesammelte Aufsätze und Vorträge, III. Spekulative und negative Dialektik, S. 163-177, Lüneburg 1986.

18 Man denkt hier vor allem an Kants Wort: „Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können; denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden könnte, welches eben so viel heißt, als die Vorstellung würde entweder unmöglich, oder wenigstens für mich nichts sein. Diejenige Vorstellung, die vor allem Denken gegeben sein kann, heißt Anschauung. Also hat alles Mannigfaltige der Anschauung eine notwendige Beziehung auf das: Ich denke, in demselben Subjekt, darin dieses Mannigfaltige angetroffen wird.“ Immanuel Kant, Werke in zwölf Bänden, Hrsg. v. Wilhelm Weischedel, Bd. 3, Kritik der reinen Vernunft, Zweiter Teil. Die transzendentale Logik, Erste Abteilung. Die transzendentale Analytik, Erstes Buch. Die Analytik der Begriffe, 2. Abschnitt. Die transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe, § 16. Von der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption, S. 136, Frankfurt/M. 1977.

19 Stichwort »Kamel«: Vgl. Nietzsche, W 2, Also sprach Zarathustra, Von den drei Verwandlungen, 293 f., München/Wien 1954; Vgl. Durs Grünbein, Das erste Jahr. Berliner Aufzeichnungen, 19. Januar, Ff/M. 2001: „Da so vieles, in Büchern und täglichen Zeitungsartikeln, mit denselben Worten, wie du sie benutzt, breitgetreten wird, bleibt dir nur, ihnen mehr aufzuladen, denselben Transportmitteln schwerere Lasten zum Tragen zu geben. Dasselbe Wort, das im Feuilleton wie ein possierliches Kätzchen gestreichelt und gleich wieder weggescheucht wird, leistet dir als Kamel bei deiner Wüstenwanderung durch das Dasein unschätzbare Dienste.“ Man selbst wird aber jenes Brimborium, das sich Grünbein für seine Kamele wünscht, seinen nicht zumuten.

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Dieser Text ist in einer veränderten Form in der HUch! Zeitung der studentischen Selbstverwaltung (an der Humboldt-Universität), Nr. 80 veröffentlicht. Dafür bin ich Janina Reichmann, die dort die redaktionelle Verantwortung trägt, dankbar. Die Fortsetzung des Essays soll auf diesem Blog folgen.

INVERSIERTES KAINSMAL ODER ›DU SOLLST NICHT LEBEN‹

Man weiß, man wird bald sterben, und das ist nicht zu sehen. Im Schatten dieser Erkenntnis, ist es im Grunde genommen denkbar einfach: Es gibt da etwas, dass seit meiner Geburt versucht, mich umzubringen. Es ist zwar unglaublich, aber so ist das nun mal, und man braucht nach keiner anderen Erklärung zu suchen. Man ist sich ziemlich sicher, daß es sich in einem Selbstgespräch permanent aufsagen würde: »Weder kennt man seinen Namen noch seine Adresse. Man weiß nicht einmal, wie er aussieht, doch man wird ihn finden und töten

ETWAS ZUM KONTEXT VON HEGELS BEGRIFF DES SUBJEKTS

Hegels gesamtes philosophisches Projekt, also die »Philosophie des Geistes« als »Wissenschaft der Logik«,1 leistet Widerstand gegen jenen sekundären, kollektiven Narzissmus, der die unglückliche schöne Seele feiert. Es richtet sich also gegen den Narzissmus der Innerlichkeit des guten Gewissens,* wie individuell dieser sich auch immer gebären mag, oder selbstgerecht und genießerisch wahrgenommen wird. Dessen Subjekt gibt sich durch eine Leere zu erkennen, die nicht nur den schwindeln macht, der hineinblickt, sondern mit dem man auch sich selbst und andere beschwindelt, sobald man anfängt, sich dieses Subjekt glauben zu machen. Vermag es sich einem auch noch so dislozierend abgründig und überreich darbieten, findet sich seine Öffnung und Exponation nur durch die Negativität darbietende Möglichkeit der Entäußerung, über die es nie ganz seine Gewalt erringt. Nichtsdestotrotz wird nichts weniger verlangt als die Rückkehr der Spekulation zum Ausgangspunkt, nachdem Hegel die epoché für die Phänomenologie in der berühmten Unterscheidung vom reinem Zusehen ohne Zutat, beides auf die Identität des Systems der Begriffe nivelliert. Nichtsdestotrotz zeigt es dabei zugleich unwillkürlich die ungeheuerliche Wüste der Freiheit, in der das Subjekt einer profanen und säkularen Form bedarf, wenn es die »Unruhe des Negativen«2 im Werden entdeckt.

Hegels Philosophie öffnet den Begriff des Subjekts auf die Täterschaft und die Tat, dadurch dass mit Emphase die Arbeit des Begriffs heraus gezeichnet wird, die aus der »Unruhe des Negativen« emergiert;3 und so bleibt einem auch nichts anderes übrig, wenn zwar in äußerster Diskretion, den Begriff des Subjekts mit einer Philosophie der Sprache zu konstellieren, die die Sprache in Kategorien der Arbeit, Akt, Handlung und Geltung aufzeigt, bzw. überhaupt die Notwendigkeit, sich auf den Begriff des Subjekts zusammen mit dem von der Sprache und den von der Gesellschaft zu besinnen, einsichtig werden lässt. Das Wesen des Subjekts entfaltet sich aus der insistierenden »Unruhe des Negativen«, die keineswegs sich ebenso als Positivität zu erkennen gibt, auch wenn man es durch deren Erscheinungen und deren Formen zu entschlüsseln hat. Anders gesagt, jede behauptete Möglichkeit eine Positivität bestimmen zu können, bleibt den Kategorien des Verdachts ausgesetzt, nicht ohne eine derealisierte, also abgebrochene Konfrontation mit der Negativität zu kalkulieren. Aus diesem Grund mündet die pragmatische und praktische Negativität der Sprache als Arbeit nicht in jene Positivität, wie es die Theorie der kommunikativen Vernunft hypostasiert. Diese Negativität, die durch den philosophischen Unterstrom der kritischen und materialistischen Theorie der Sprache ihre Artikulation findet, zielt auf die Nicht-Identität, mit der der Inhalt des »unglücklichen Bewußtseins« nicht nur äußerlich mit der Welt in Beziehung gesetzt wird, sondern es zeigt sich an ihr auch, dass die vermeintliche Innerlichkeit davon bis ins letzte Detail geprägt ist.4 Der polemische Satz Benjamins gegen Kierkegaards philosophische Konzeption vom psychischen Interieur im Zusammenhang mit der Kritik der Innerlichkeit, dass ihm die Innerlichkeit den Buckel runter rutschen könne, macht darauf aufmerksam.5 Hingegen mit dem Kult und die Feier der schönen Seele, als den Inbegriff der narzisstischen Verdinglichung des Subjekts, bezahlt man den Preis einer Verobjektivierung durch narzisstische Identifikation für eine inhaltslose Orientierung aufs Objekt.

Nicht ohne in und durch die Reflexion auf die Negativität des Subjekts lassen sich jene Widerstände beobachten, die der Gegenstand dem Subjekt leistet, das diesen erkennen und sich aneignen will, indem es dem Subjekt durch den Begriff aufgeht, dass es nicht bloß prinzipiell, sondern existenziell sein »natürliches Bewußtsein« und die »natürliche Welt, in der es als Lebewesen lebt« negiert, während es sich durch die notwendige Entfremdung des Begriffes und der Sprache aktualisiert und exekutiert, sich in sein Standrecht hinein manövriert, wo es für sich selbst keine Unschuld mehr zu proklamieren gibt. Ließe es sich denn sagen, warum man für nichts kann? Deshalb erscheint auch im Blick auf den Menschen an einem der Anfänge des Hegelschen Projekts zum System jene »Nacht der Welt« als dies »leere Nichts«,6 indessen das Subjekt sich nur in und durch das Existenzialurteil immanent zur Kritik und Krisis zu konstituieren vermag, und den Menschen als Subjekt und als das Andere des Subjekts, als objektive Wirklichkeit, nur noch in einem spezifischen Raum und in einer bestimmten Zeit aus diesem »leere[n] Nichts« herauszuholen vermag.7

1 Die »Philosophie des Geistes« ist zu jenen trinitarischen Momenten des Hegelschen System zu zählen, welches sich insofern grob in seiner Relevanz fürs Hegelsche System wie folgt einteilen lässt: 1821 erscheint Hegels Rechtsphilosophie unter dem Doppeltitel »Grundlinien der Philosophie des Rechts« und »Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse«. In dieser letzten Buchpublikation Hegels liegt in ausführlicher Darstellung der »objektive Teil« der »Philosophie des Geistes« vor. Mit dem eventuell frühesten Erwähnen innerhalb der für das Hegelsche Werk kanonisierten Schriften »Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus« wird apodiktisch konstatiert, dass die »Philosophie des Geistes« eine »ästhetische Philosophie« [Hegel, W 1, S. 236] ist. In der Darstellung der »Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaft im Grundrisse« bilden sie neben der, I.) »Logik, die Wissenschaft der Idee an und für sich«, II.) »Die Naturphilosophie als die Wissenschaft der Idee in ihrem Anderssein«, den III. Teil, »Philosophie des Geistes als der Idee, die aus ihrem Anderssein in sich zurückkehrt« [Hegel, W 8, Enzykl., Einleitung, S. 65.]

2 Jean Luc-Nancy, Hegel. Die spekulative Anmerkung. Die Unruhe des Negativen, S. 165 ff., Zürich 2011.

3 Die Relevanz der Täterschaft, der Tat im Hegelschen Sinne hebt Maurice Blanchot indirekt mit seiner Emphase des »Tuns« hervor: „Vor dem Werk, dem Kunstwerk, dem schriftstellerischen Werk, dem Sprachwerk gibt es weder Künstler noch Schriftsteller noch ein sprechendes Ich, da ja das Schaffen den Schaffenden schafft, ihn gebiert oder erscheinen läßt, indem es ihn beweist (vereinfacht ist dies die Lehre Hegels oder sogar des Talmuds: das Tun hat Vorrang vor dem Sein, welches nur durch Tun entsteht – was? Vielleicht irgend etwas: das Urteil über die Bedeutung des Irgendwas hängt von der Zeit ab, von dem was geschieht, von dem was nicht geschieht: was man die geschichtlichen Faktoren nennt, die Geschichte, ohne jedoch in der Geschichte das Jüngste Gericht zu suchen). Wenn jedoch das geschriebene Wort den Schriftsteller schafft und beweist, zeugt es nach seiner Fertigstellung nur von dessen Auflösung, seinem Verschwinden, seinem Abgang und, um es schonungsloser auszudrücken, von seinem Tod, der im übrigen nie endgültig festgestellt werden kann: ein Tod, der keinen Totenschein erlaubt.“ Maurice Blanchot: Danach, in: Der Pfahl. Jahrbuch aus dem Niemandsland zwischen Kunst und Wissenschaft, S. 205, München 1991.

4 Dass Hegel vom »unglücklichen Bewußtsein« spricht, muss weder die Schlussfolgerung nach sich ziehen, dass sein Inhalt bestätigt werden muss, noch muss man sich über diesen lächerlich machen. Noch wichtiger als das, gilt es zu verstehen, dass das unglückliche Bewußtsein keineswegs bloß als eine Sache der Innerlichkeit zu begreifen ist, da bereits der Inhalt des »unglücklichen Bewußtseins« im vermeintlichen Innern des Subjekts, dem Subjekt, das in und durch Negationen realisiert wird, auch äußerlich wird. Hegel kritisiert, wie Adorno zeigt, die Innerlichkeit „als bloßes Moment: Bedingung richtigen Bewußtseins ebenso wie ein von diesem seiner Beschränktheit wegen Aufzuhebendes“. Theodor W. Adorno, GS 6, Jargon der Eigentlichkeit, S. 461, Frankfurt/M. 2003.

5 Walter Benjamin hat im Zusammenhang seiner Kritik der Innerlichkeit mit Emphase die Figur des »Lumpensammler[s]«, der freilich als Metapher für den kritisierenden, philosophierenden und theoretisierenden Intellektuellen nicht nur Benjamins Verhältnis zur Theorie des Zitats, bzw. des Zitierens verdeutlicht: „So steht von Rechts wegen dieser Autor am Schluß da: als ein Einzelner. Ein Missvergnügter, kein Führer. Kein Gründer, ein Spielverderber. Und wollen wir ganz für sich uns in der Einsamkeit eines Gewerbes und Trachtens ihn vorstellen, so sehen wir: Einen Lumpensammler frühe im Morgengrauen, der mit seinem Stock die Redelumpen und Sprachfetzen aufsticht, um sie murrend und störrisch, ein wenig versoffen, in seinen Karren zu werfen, nicht ohne ab und zu einen oder den anderen dieser ausgeblichenen Kattune »Menschentum«, »Innerlichkeit«, »Vertiefung« spöttisch im Morgenwind flattern zu lassen. Ein Lumpensammler, frühe – im Morgengrauen des Revolutionstages.“ [Walter Benjamin, GS III, Kritiken und Rezensionen, Ein Aussenseiter macht sich bemerkbar, Zu S. Kracauer, »Die Angestellten«, S. 225, Frankfurt/M. 1991.] An anderer Stelle weiß sich Walter Benjamin in der Kritik am Kierkegaardschen Konzept von der Innerlichkeit mit Theodor W. Adorno einig: „So bekommt die Kierkegaardsche Innerlichkeit ihren bestimmten Ort in der Geschichte und Gesellschaft. Ihr Modell ist das bürgerliche Interieur, in welchem historische und mythische Züge ineinandertreten. Mit gutem Griff hat Wiesengrund eine Anzahl von faszinierenden Beschreibungen derartiger Innenräume dem Werke Kierkegaards entnommen. In ihnen erweist sich die Innerlichkeit als »das geschichtliche Gefängnis des urgeschichtlichen Menschenwesens«. Es ist aber nicht, wie Kierkegaard meinte, der »Sprung«, der, mit der Zauberkraft des »Paradoxen«, den Menschen aus dieser Gefangenschaft befreit. Nirgends greift Wiesengrund vielmehr tiefer, als wo er, die Schablonen der Kierkegaardschen Philosophie mißachtend, in deren unauffälligsten Relikten, den Bildern, Gleichnissen, Allegorien den Schlüssel sucht. Es ist die aus chinesischen Märchen überlieferte Bewegung eines Verschwindens (des Malers) in dem (selbstgemalten) Bilde, das er als letztes Wort dieser Philosophie erkennt. Das Selbst wird »als Verschwindendes gerettet durch Verkleinerung«. Dieses Eingehen ins Bild ist nicht Erlösung; aber es ist Trost. Der Trost, dessen Quelle die Phantasie ist »als Organon bruchlosen Übergangs von Mythisch-Historischem in Versöhnung«.“ GS 3, Kritiken und Rezensionen, Kierkegaard. Das Ende des philosophischen Idealismus, S. 382 f.

6 Das Bild gehört ihm an, er ist im Besitz derselben, er ist Herr darüber; es ist in seinem Schätze aufbewahrt, in seiner Nacht – es ist bewusstlos, d. h. ohne als Gegenstand der Vorstellung herausgestellt zu sein. Der Mensch ist diese Nacht der Welt, dies leere Nichts, das alles in ihrer Einfachheit enthält, ein Reichtum unendlich vieler Vorstellungen, Bilder deren keines ihm gerade einfällt oder die nicht als gegenwärtige sind. Dies ist die Nacht, das Innere der Natur, das hier existiert – reines Selbst. In phantasmagorischen Vorstellungen ist es ringsum Nacht; hier schießt dann ein blutiger Kopf, dort eine andere weiße Gestalt hervor und verschwinden ebenso. Diese Nacht erblickt man, wenn man dem Menschen ins Auge blickt – in eine Nacht hinein, die furchtbar wird; es hängt die Nacht der Welt einem entgegen.“ G.W.F. Hegel, Naturphilosophie und Philosophie des Geistes. Vorlesungsskript zur Realphilosophie (1805/06), Kapitel: Philosophie des Geistes, Abschnitt I. Der Geist nach seinem Begriffe, a. Intelligenz, in: Jenaer Systementwürfe III, Naturphilosophie und Philosophie des Geistes, neu hrsg. von Rolf-Peter Horstmann, Hamburg 1987, S. 172.

7 Nebenbei erwähnt, ermöglichen solche Lektüre-Empfehlungen, die vorschlagen, anstatt Hegel mit Deleuze gegen Hegel, Deleuze mit Hegel für Deleuze zu lesen, beinahe nur das Umgehen des Risikos, das in und durch die Konfrontation mit dem Hegelschen Denken aufkommt. Denn die Kategorien von Virtualität, Chaos und Werden, die Gilles Deleuze als Variablen der Subjektivität eines Subjekts ohne Subjektivität innerhalb einer univozitären Dimension auf den »Begriff« bringt, bekunden nicht einmal die Intention in den Kreis Hegels zu treten, wo man das Weiße seines Auges zu sehen bekommt. Gewiss ist Intention allein nicht hinreichend für eine immanente Kritik im Allgemeinen, eingedenk Benjamins apodiktischem Urteil, das „die Wahrheit […] der Tod der Intention“ ist [Walter Benjamin, GS I.1, Ursprung des deutschen Trauerspiels, S. 216]. Doch der generalisierte Anti-Hegelianismus seitens Gilles Deleuze entwickelt über die nicht vorhandene Intention hinaus nicht einmal das Potential, eine »immanente Kritik« Hegels zu entfalten. Seine Kritik Hegels bleibt äußerlich und bloße Behauptung; ein philosophisches Schicksal, das Gilles Deleuze, wenn auch auf andere Art und Weise, mit Kierkegaard teilt. Eine immanente Kritik, das gerade zeigt Adornos philosophische Auseinandersetzung mit Hegel, ist aber notwendig. Hegels Metapher »Nacht der Welt«, die der Mensch ist, verweist auf die wichtigen Impulse für eine »negative Anthropologie«, mit der eben keineswegs aus der Lehre vom Zerfall der Schluß gezogen werden muss, dass wirkliche Erfahrung nicht mehr möglich sein kann, und die einen keineswegs dazu zwingt, dieses elende Bramarbasieren vom »Tod des Subjekts« als Resultat der heteronomen »Ordnung der Dinge« anzuerkennen und auch noch affirmativ zu bejahen. Doch auf diese Art und Weise verschafft sich diese Variante einer Subjektphilosophie, die keineswegs derart anti-metaphysisch ist, wie so gerne hypostasiert wird, weil sie permanent nur gegen die Metaphysik anrennt, ohne sie tatsächlich zu widerlegen, durch negative Selbstermächtigung des Subjekts ihre Geltung. Was im Unterschied dazu die Logik des Zerfalls am strengsten lehrt, entgegen den prätentiös sich inszenierenden Adorniten: »Es gibt keine Verfallszeiten« [Walter Benjamin, GS V.1, Das Passagen-Werk [Erkenntnistheoretisches, Theorie des Fortschritts], [N, I, 6], S. 571, Frankfurt/M. 1991]. Die Situation der Hegelschen »Nacht der Welt«, dass das Wesen des Menschen sich als »Leere« und »Nichts« zeigt, verweist auf die Notwendigkeit einer »negativen Anthropologie«, da es die Möglichkeit aufzeigt, dass dem ontologischen Bedürfnis nicht das letzte Wort überlassen werden muss. Hingegen mit Gilles Deleuze von der »Nacht der Welt« zu dem zu schreiten, wo man nicht mehr vom tragischen Unglück in der Freude wissen will, um die glückliche Selbsterhebung und Durchsetzung von Freiheit denken zu können, ist nichts anderes als ein vulgarisierter Nietzsche.

»Anolis sagrei.«

Je mehr man diese Welt verwöhnt, desto durchtriebener wird sie; diesen Zustand gilt es anzustreben. Aber dies kann man nur, wenn man selbst bereits ein kleines Stückchen davon realisiert hat; auf dem Weg dorthin, wo man selbst so durchtrieben – also mit allen Wassern gewaschen – sein wird, derart, daß man endlich sich selbst durchschaut. Unterwegs dorthin könnte man sich mit der bescheidenen Wegzehrung begnügen, daß man sich durchaus begreifen könnte, hingegen wird dort noch geringeres reichen: daß man sich endlich selbst begreift. Sich durchschauen, heißt sich verirren. Sich berühren aber, heißt sich vergewaltigen. Wo dies zur Herrschaft gelangt, können Erfahrungen sich gar nicht erst bilden. Braucht es aber nicht einen gewissen Widerstand, mit dem man sich die Gewißheit zu geben vermag, daß man existiert? Was wüsste man schon von sich selbst, wenn man nicht in Wiederholungen gefangen bleiben würde: fast nichts. Ich kann beinahe nur noch mit mir umgehen, wie mit einem Ding. Jede Intimität mit mir selbst ist mir fremd. Kaum habe ich etwas aufgegriffen, ist mir die Situation schon verworfen: Was jetzt eine Rolle spielt, spielt bereits keine Rolle mehr. Zwischen dem gegenwärtigen und dem eben gelebten Augenblick veraltet mir die Situation schneller als die Überlebten; veralten heißt aber, fremd werden. Dazwischen schiebt sich die massive Hegemonie der toten Arbeit. Man schleicht die Zeit durch die wenigen Räume, die durch überschreitbare Grenzen sich einem wider allen Erwartens noch eröffnen, und tut dabei so unscheinbar, als gebe man eine, man darf wohl sagen, recht unglaubliche Größe ab.

 

»Mückensehen.«

Ich erscheine mir selbst oft rätselhafter, als den Anderen. Selbstverständlich studiere ich mich selbst, und dabei entdecke ich dieses eigentümliche mir selbst fremd sein. Erschöpft mich dieses, so rauche ich zum Zeitvertreib eine Mordszigarre und denke: Wer wird jemals wissen, was mit mir eigentlich gemeint ist, oder was man aus mir noch machen kann? Ich jedenfalls weiß dies nicht. Die Zigarre, derweil ich sie rauche, erkennt mich, aber sie sagt es mir nicht. Und wenn ich meine Augen schließe, so wird meine Augenlust reich belohnt.

»Clair-Obscur: Die Wahrheit ist konkret, aber nicht unbedingt handgreiflich«

Der Tod ist nicht die Vollkommenheit des Menschen und repräsentiert auch nicht seine Vervollkommnung.1 Die für ihn produzierten Appräsentationen durchstreichen stets den Raum, der durch die überdeterminierte Signifikanz der Signifikate evoziert wird. Dabei muß wirklich nichts aus reiner Imagination heraus exekutiert werden; deshalb existiert man ja. Beim eigenen Vermögen, wie auch Unvermögen, sieht das bereits anders aus. Im Falle der reinen Imagination wird sogar das Undenkbare ungeboren sein müssen. Aber man braucht deshalb nicht anzunehmen, daß man eines gesetzten Sinnes sei, geschweige denn einen andern je umfassend begriffen zu haben. Wenn auch mit jeder Aufhebung das Resumé von Leid und Glück des Daseins adressiert verglichen wird, das Leben, so wie das wahre Selbst heben nicht einmal die Intentionslosigkeit ihrer Wahrheit auf. Gerade als seiendes Ganzes drückt es nicht das Sein, weder als das Selbe, noch als das Andere eines Seienden selbst, qua eines Bewußtseins aus. Nicht nur per definitionem ist es ein unglückliches Bewußtsein, und ähnelt jener chōra2 der immersiv-dynamischen Annihilation. Andererseits in ungeheuerlichen Zusammenhängen aus Noumenalien und Phänomenen verstrickt, beinahe alles Anomalien und Amphobolien, die ateleologisch Augenblick, Denken und Gegenwart sollizitierend, verschwindende Momente verdichten, um wie hegelisches Aas verjüngter Geister, die Unumstößlichkeit des Selbst aufzustöbern: nämlich durch diesen einen Beweis, der Unhaltbarkeit seiner Existenz. Solch unvermögendes Subjekt erfordert mehr als einen geraden, ehrlichen und unerschütterlichen Menschen, mehr als einen bloßen, großen Genius; es setzt zum größeren oder geringeren Grade allen diesen Vorgängen noch etwas voraus, was sich dieser Welt selten zeigt: ein Organon, daß sich immanent aus dem sinnlich-übersinnlichen der Wirklichkeit, das sichere Gefühl für die Geringfügigkeit allen Tuns, und der Unförmigkeit zwischen den Herzen und den Orten, das über das verwirrende Gebüsch und den ekelhaften Köder unseres Fußbodens aufgerichtete Angesicht, den Wunsch des Todes, und den Blick über die Wolken. Aber dies versuchte Skizzieren solch eines Modells arbiträrer Zeichen, das diesen Willen des Denkens und Tat als die Identität grundlegender, differenter Widersprüche gewahrt, fundiert nichtsdestotrotz Spielarten für das quid pro quo des Begriffes vom bestimmungslosen Tod, der durch nichts eine Einheit mit dem Begriff des Seins bildet, dessen reine, leere Abstraktion ohne irgendwelches Bestimmtwerden, den inhaltslosen Anfang allem Voraussetzungslosen weder unterminiert, noch suspendiert. Nicht einmal die Geschichte begründet die umwegige Erkennbarkeit des Jetzt. Die Gegenwart ist in diesem Fall durch nichts, aber auch durch keinen leisesten Hauch nur widerwärtiger. Die eigene Anwesenheit, etwas Beobachtetes ohne Beobachter, läßt durch die Abwesenheit verwesen, was hier noch nicht die Frage nach dem Substrat der reinen Präsenz durchstreicht. Die An- und Abwesenheit passen zwar zusammen, aber nicht zueinander. Man wird nicht jeden Aspekt des Lebens aufzeigen können, weil seine Endlichkeit und Unendlichkeit nicht ewig gleich ursprünglich sind. Man bewahrt sich einen Rest an Unbestimmbaren. Rette (sich), wer kann – das Leben. Es ist genau daß, was man im Allgemeinen an der Poesie liebt: eine Sättigung reiner Zeichen, die im Lichte ihrer fehlenden Erklärung baden. Die Annahme eines Geistes, einer Seele ist bloß ein plumper Behelf dafür, was wie auch immer aus irgendeinem, wenn auch absoluten Zusammenhang resultieren soll. Jedoch da zu sein, ist aber eine einzige Zumutung. Ausnahmslos jeder Wille täuscht sich darüber hinweg. Die Qualität dessen oszilliert aus dem unerträglichen Maß, an dem man entweder wächst, oder von dem man vertilgt wird. Wie man’s anpackt? Das Suchen produziert man sich durch Praxis zum Zweck, und das Finden zum Mittel der Theorie. Den Zwiespältigen, der mit der Uhr an der Hand denkt, wie man zu Mittag ißt, sein Auge aufs Börsenblatt gerichtet,3 dem man diese Geste so oder nur so kritisch präsentiert, hörte man vielleicht noch sagen, der Augenblick der Entscheidung ist ein Wahnsinn. Eine gerechte, angemessene Entscheidung ist aber immer sofort, unmittelbar erforderlich, „right away“. Er kann sich nicht zuerst eine unendliche Information besorgen, das grenzenlose Wissen um die Bedingungen, die Regeln, die hypothetischen Imperative, die er rechtfertigen könnte. Selbst wenn er über solch ein Wissen verfügen würde, selbst wenn er sich die hierzu nötige Zeit ließ und das notwendige Wissen sich aneignete, so wäre trotzdem der Augenblick der Entscheidung – so wäre trotzdem dieser Augenblick als solcher stets ein endlicher Augenblick der Dringlichkeit und der Überstürzung; zumindest wenn man voraussetzt, daß er nicht die Konsequenz oder die Wirkung dieses Wissens, dieses Nachdenkens oder dieser Überlegung sein kann – sein darf, und daß er immer eine Unterbrechung der Überlegung, die ihm vorausgehen muss und vorausgehen soll, darstellt. „Der Augenblick der Entscheidung ist ein Wahn“, wie Kierkegaard schreibt. Dies trifft vor allem auf den Augenblick der gerechten, angemessenen Entscheidung zu, die die Zeit zerreißen und den verschiedenen Dialektiken trotzen muß.

1 »Im Moment, da man nach Sinn und Wert des Lebens fragt, ist man krank, denn beides gibt es ja in objektiver Weise nicht; man hat nur eingestanden, daß man einen Vorrat von unbefriedigter Libido hat, und irgend etwas anderes muß damit vorgefallen sein, eine Art Gärung, die zur Trauer und Depression führt. Großartig sind meine Aufklärungen gewiß nicht. Vielleicht weil ich selbst zu pessimistisch bin. Mir geht ein ‚advertisement‘ im Kopf herum, das ich für das kühnste und gelungenste Stück amerikanischer Reklame halte: „Why live, if you can be buried for ten Dollars?“« [Sigmund Freud an Marie Bonaparte, 13. August 1937, hier zit. n.: Sigmud Freud, Sein Leben in Bildern und Texten, Hrsg. v. Ernst, Lucie Freud & Ilse Grubrich-Simitis, Frankfurt/M. 2006.]

2 Vgl. Platon, Timaios.

3 Vgl. Friedrich Nietzsche, WuB 2, Die fröhliche Wissenschaft, 329. Muße und Müßiggang, S. 190.