Credo des wahren (Um-)Weges«

Man schreibt vor allem deshalb, weil man nahezu nichts, nicht mehr davon beobachtet, was man nicht versteht. Vermutlich wird man dazu sagen können, dass das nur eine weitere Facette der sokratischen Ironie sei, also, wie Nietzsche einmal belehrte, desjenigen, der nicht schreibt.1 Deshalb wird dass, was man annähernd in einem bestimmten Sinne zu sagen hat, damit zusammenhängen, diesem Nicht-Wissen Ausdruck zu verleihen, mitsamt den Versuchen sich auf das Ausdrucksmoment zu konzentrieren und über den Ausdrucksdrang hinaus zu gelangen. Ob man nun den Ausdruck verweigert, oder ob es einem gelingen sollte, mit den Mitteilungen einen Überschuß über den Ausdruck hinaus zu schaffen, die Ethik der Schriftstellerei lautet: »Du sollst dich nicht ausdrückenMit diesem »philosophischen Ernst«, dessen Ohnmacht ihren Index anhand einer melancholischen Ironie entfaltet, verfolgt man eine andere Strategie, als Wittgenstein mit dem Diktum andeutet: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber soll man schweigen.“2 Man wäre ja auch schlicht verrückt, die Regeln dieser Vorschrift zu kommentieren, oder die Kriterien dieses Satz zu rekonstruieren. Nichtsdestotrotz ist nicht zu verhehlen, wie notwendig einem die Auseinandersetzung mit diesem Diktum ist.

Wenn also etwas Erklärendes und Erläuterndes in den eigenen Schriften entgegen aller Vermutung, entgegen den eigenen Vorstellungen zu finden sein sollte, wird man sich immer vor Augen führen müssen, dass es aus diesem Nicht-Verstehen, diesem Nicht-Wissen herrührt, welches einen permanent dem Risiko aussetzt, eben auch dort zu diesem als Ausgangspunkt wieder zurückzukehren, ohne etwas von den Gegenständen an denen sich die Aktivitäten entzünden, auf einem veränderten Niveau darstellen zu können. Die irreversible Verausgabung, die sich einem damit andeutet, und die mit dem Bild von einem geschlossenen Zirkel, der einem wohl kaum eine spiralförmige Bewegung eröffnet, eher mit einer in sich selbst gefangenen Anschauung zu korrespondieren scheint, hat für einen selber etwas »absolut Komisches«, in dem ein Gelächter nicht unbedingt anwesend sein muß. Mal ganz abgesehen von solchen Verhältnissen, in denen man dies als Spur beobachtet, die objektiv keinen Grund zur Fröhlichkeit bieten. Gleichfalls existiert bei einem selbst das Motiv für das Schreiben, hinter jedem Satz ein wildes Gelächter unmissverständlich anzudeuten, mit dem es jederzeit möglich wäre, unmotiviert in ein Diabolisches auszubrechen, mit dem die ungedachte und unbekannte Reflexivität dieser Texte ausgelotet werden könnte. Diese furchteinflößende Vorstellung von einer irreversiblen Verausgabung entkommt nicht den Fängen des Absurden. Es erscheint einem in dem Bild von einem Leben gebannt, dass wie auf einem Grabstein gelogen, geschrieben wird.3

Lacht nicht auch der Teufel und spricht: Vielleicht gibt es das alles gar nicht? Der Teufel könnte ins kalte Wasser springen, um nur kurz darin zu baden. Eher aber bliebe er wohl am Rande eines Turms stehen, der über ein Bassin ragt, um über das Wort nachzudenken: „Und was liegt daran, dass dieses Bassin vierzig oder viertausend Meter tief ist? Da uns sein Glanz bezaubert!“4

1 Jacques Derrida stellt das Wort als Motto seiner Grammatologie voran: „Sokrates, derjenige, der nicht schreibt.“ [J. Derrida, De la grammatologie, Paris 1967, S. 15.] Zu Nietzsche, dem er die Formel entlehnt, merkt er an, dass er vom Grund dieses Nichtschreibens nichts verstanden habe und auch in seiner ‚Umkehrung‘ ganz im Glauben an Platon befangen geblieben sei, wie nach ihm Freud und Heidegger (La carte postale. De Socrate à Freud et au-delà, a. a. O., S. 25). – Nietzsches Diktum „Sokrates als Nichtschreiber“: er will nichts mitteilen, sondern nur erfragen, stammt aus den Vorbereitungen für eine Platon-Vorlesung in Basel, Herbst 1869: F. Nietzsche, Kritische Studienausgabe, München/Berlin/New York 1980, Bd. 7, S. 17; vgl. Werner Stegmaier: „Philosophieren als Vermeiden einer Lehre. Inter-individuelle Orientierung bei Sokrates und Platon, Nietzsche und Derrida“, in: J. Simon (Hg.): Distanz im Verstehen. Zeichen und Interpretation II. Frankfurt/M: 1995, S. 213-238 (233).

2 Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus Logisch-philosophische Abhandlung, Vorwort, S. 7, Frankfurt/M. 1963.

3 Wenn man nicht weiß, wo etwas hingehört, dann schreibt man es auf. So weiß man zumindest, wo es nichts zu suchen hat. Damit verfügt man immerhin über eine veränderte Bilanz, besitzt man, wenn man damit überhaupt etwas besitzen sollte, zumindest einen Irrtum mehr. Man kann sich damit glücklich schätzen, dass man das Verhältnis zur Negativität – wieder ein wenig mehr – differenziert hat, heißt es doch immerhin bei Hölderlin: „Unterschiedenes ist gut.“ [Friedrich Hölderlin, Sämtliche Gedichte und Hyperion, Pläne, Bruchstücke, Notizen, Die Entscheidung, S. 436, Frankfurt/M. u. Leipzig 1999.]

4 Paul Valéry, Werke, Bd. 5, Frankfurter Ausgabe, Zur Theorie der Dichtkunst und vermischte Gedanken, S. 239, Frankfurt 1991.

Genealogie und Schrift

Man versucht beim Schreiben beinahe vergebens, eine Poiesis der Flächen zu gestalten. Was man auch schreibt, man täuscht sich, getrieben vom Mangel, bloß mittels von Verlusten, die man sich selber durchs Schreiben zufügt, um die tableaux vivants aus Palimpsesten des Gedächtnisses zu gewinnen. Man wird sogar für sich selber zu Palimpsesten durch ein angebliches Schreiben, indem man, wie durch eine fixe Idee gebannt, Zigaretten dreht und sich windet. Man kann nur eine Prosa wollen, die die Zeit zum Gegenstand ihres Experiments gestaltet, mit der man realisiert, dass das Urteilsvermögen, vermittelt durch Modelle und Modellanalysen, in seinem Gefolge in der gefrorenen Wüste der Abstraktion ankommt, in der Gefrornes als ParfaitSorbetGranité einen durch eine dezente und diskrete Prozession verlockt. Zugleich scheint man bei der Konstruktion des konkreten Gedankens fasziniert wie die Abwesenheit der Zeit als projektiver Spuk sich entpuppt, beinahe wie jener jähe Schrecken einer Klausurprüfung, wo plötzlich die Schelle schrillt, der Lehrer als Kollaborateur der herrschenden Zeit keinen weiteren Aufschub duldend, mit nachdrücklicher Stimme verkündet, „Kinder, die Zeit ist rum, legt sofort die Stifte beiseite und gebt eure Hefte ab“, den es zu jenem Grandvilleschen Double »Schnee und Eis, die Höflinge des Winters« aufzubewahren gilt.1 Nichts sehnlicher wünscht man sich, als das jene dritte gewitzte Figur des Schlittschuhläufers, zu dessen Kufen Spuren auf dem Eis sich entdecken lassen, die aus ihrer flächenartigen Erstarrung heraus, auf ihren Lippen die Worte des Nietzsche-Gedichtes Für den Tänzer, „Glattes Eis / Ein Paradeis / Für den, der gut zu tanzen weiß“,2 wie ein Engel spricht, während die Kälte noch zunimmt, und sein allmähliches Einfrieren, vom Gefrornen ergriffen zu werden droht, wie man zum armen Tier herabsteigt, kritische Tiere zu einem heraufsteigen; wird man durchs Schreiben sich je so als solches begegnen können?

1 Vgl. Grandville, Das Gesamte Werk in zwei Bänden, Einleitung von Gottfried Sello, Buchillustrationen, Un Autre Monde, [1262] Rogner und Berhard 1969.

2 Friedrich Nietzsche, Werke und Briefe, Bd. 2, »Scherz, List und Rache«. Vorspiel in deutschen Reimen, S. 20, München/Wien 1954.

Aus meinen Lektüren, bzw. von meinen Lektüren (29.03.2013)

Die Präsenz müsste ja eigentlich kein Mythos sein, nichtsdestotrotz ist sie es aber in gewisser Weise um jeden Preis. Das hat Gründe, die eine Kritik der Kulturindustrie, wenn sie auf der Höhe der Zeit artikuliert sein will, heraus zu zeichnen hat. Das macht eventuell auch das entscheidende meiner Schwierigkeiten beim Schreiben vor allem eines Projektes aus, nämlich etwas, was gar nicht so sehr eine Prosa für einen kulturkritischen Text erfordert, sondern eine, die man für eine geplante Erzählung im Präsens, also in jenem tempus erzählen will, den man auch die Aktzeit nennt;1 eine Wahl, mit der die anderen Zeiten, und somit Tiefen und Möglichkeiten zugunsten eines Präsens eingeebnet werden. Präsens deshalb, weil es gilt von einer Welt zu erzählen, in der es kaum mehr möglich ist, selbständig Erfahrungen zu machen. Wenn man sich dazu entscheidet, strikt in diesem Tempus zu erzählen, wird es freilich ein bißchen mehr beängstigend sein, als daß es sich bloß um eine Klaustrophobie handelt, schließlich ist noch eine Temporalisationsphobie hinzuziehen. Man kann nur aus einer sich permanent entleerenden Welt von Spuren erzählen, in dem der Schein des Unmittelbaren, einen nur noch auf Reiz und Reaktion reduziert, und das individuelle Bewußtsein nur noch in der Zirkulation von »erpreßter Versöhnung«2 und »totalen Bann«3 einer ausgehöhlten Jetztzeit herumirrt. Das sogenannte Unmittelbare ist so etwas wie eine Akkumulation von Geschmacklosigkeiten. Das ist ja überhaupt das Fleisch mit dem manche das Dasein dummdreist als gerechtfertigt legitimieren, in dem sie die eine fast durch und durch geschmacklose Welt für sakrosankt erklären. Man hat keine Ahnung, warum man irgendwann einmal auf die Idee gekommen ist, strikt nur mit diesem man im Präsens zu erzählen. Anfangs war es nur ein ahnungsvoller Einwand gegen die mich ankotzende Jetztzeit der Gesellschaft, in der einem die die Gegenwart wie ein Bann erscheint, zu dem man sich verhalten muss, ob man will oder nicht. Aus diesem Grunde studiert man von Maurice Blanchot Der literarische Raum, Das Neutrale,4 und von George Perec Ein Mann der schläft.

1 Welche vor allem eine mögliche Wahl für theoretische Prosa darstellt.

2 Vgl. Adorno, GS 11, Noten zur Literatur II, Erpreßte Versöhnung, S. 251-280, Frankfurt/M. 2003.

3 Theodor W. Adorno, GS 7, Ästhetische Theorie, S. 56, bzw. S. 490, Frankfurt/M. 2003.

4 Wobei von Blanchot die expliziter literarischen Materialien zu lesen wären.

In der Hölle ist bestens für Unterhaltung gesorgt

Das Potential der Sprache birgt in sich das Risiko zur unendlichen Wiederholung der Zerstreuung zu werden. Diese Möglichkeit evoziert ein Bild von der Hölle, von der Arthur Rimbaud in einem seiner Seher-Briefe schrieb, »in der Hölle kann man nicht dichten«.1 Weil sich der Genius der Poesie nicht, nicht mehr entfalten lässt, für den es noch viel eher als für die Idylle gilt, dass in seinen Ensembles nichts von Armut, Elend und Leiden zu spüren ist, gilt dies erst recht in der konstanten Gefahr der Inkonsistenz, angesichts einer höllischen Zerstreuung, Zerrissenheit, des nicht Wiederzuerkennenden, mit dem sich noch die Chance der unzuverlässigen ästhetischen und metaphysischen Erfahrung eröffnen mag, des allmählichen und gewissen Unwiderruflichen, angesichts der notwendigen Unmöglichkeit der Wirklichkeit, der man sich permanent durchs Schreiben aussetzt, von dem man sich zumindest bewusst ist, dass seine Stärken nicht gerade in seinen Motiven und Intentionen wurzeln, erscheint als Genius, was als Fiktion wiederkehrt, dessen Vermögen es zu sein scheint, die Zeichen dessen, was wiederkehrt, als ein Verdrängendes lesen zu können, und es in ein begreifendes Erkennen zu übertragen.

Eventuell erscheint es diese eine Mal nicht trivial, weil durch die ansonsten gewöhnliche Vernichtung des Gegenstands der entäußerte Begriff als Äußerung der Wirklichkeit durch allmähliche Abnutzung keinen Sinn mehr macht. Was Befürchtung und Movens der Literaten provoziert, die sich für literarische Lappalien anspornen, in dem sie den Stil als ein Schema ausgetragener Spannung zwischen dem Finden ihrer Einzigartigkeit und Originalität und der Inflation der Zeichen begreifen. Weil also durch einen blitzartigen Einschlag aus heiterem Himmel das Schreiben seinen Sinn verlieren kann, so dass man es nur noch mehr mit der isolierten Reflexion einer vereinzelten Hölle zu tun hat, in der man weder eine Konkretion in Form eines Gedankenkonkretums hervorzurufen vermag, noch die des Entstehungsprozeß des Konkreten selbst zu treffen vermag. Man ist also mit dem unverfügbaren Moment des Ausdrucks konfrontiert, wenn man dem Einfall verfällt, dass man es mit einer denkerischen Aphasie und schriftstellerischen Apathie zu tun hat. Angesichts dieser belassenen Unmittelbarkeit, die man nicht so recht aufzuschlüsseln vermag, geschweige den aufzulösen, ergreift einen nichtsdestotrotz die Unruhe des Negativen. Wo sich einst das Wort in einem logischen Verhältnis befand, welches sich für einen selbst noch in einem logischen Sinn des Gegenstands vollzog, evoziert nicht nur jene isolierte Reflexion, sondern die Hölle, in der »man nicht dichten« kann.

Diese Unmöglichkeit gilt es, als voraussetzungsreiches Verhältnis für die Poesie nicht einzuholen, sondern zu explizieren, um die implizierte Möglichkeit freizulegen, dass man sich einem unendlichen genauen Zusammenhang anzunähern vermag. Es wird also auch noch jene Möglichkeit denkbar, zum Genius des unendlich genauen Zusammenhang zu werden, den man dem von Benjamin vermittelten Hölderlin her kennt.2 Freilich hat man die möglichen Konfigurationen einer dezentrierten Sprache zu entscheiden: Als eine Parataxis, die nicht nur in die Horizontalen wächst, sondern die auch noch was aus der Vertikalität macht, indem sie es in die Spatialisation und Temporalisation als Aufhebungsverhältnisse striktiert. Die Notwendigkeit sich material arbeitend in der Sprache zu bewegen, ist als Modus eines gegenständlichen Zusammenhangs zu begreifen, für den man es bedarf, eine dialektische Axiomatik zu artikulieren, um Abschweifung, Ausschweifung und Zerstreuung, also schlicht die Ökonomie des Textes begrifflich auf die inkommensurablen Kriterien der Interdependenz, Irreduzibilität und Referenzialität zu reflektieren.

1 Arthur Rimbaud zit. n. Helmut Dahmer, »In der Hölle kann man nicht dichten« – Anmerkungen zu Arthur Rimbaud, S. 47-58, in: Kunst, Spektakel und Revolution, Nr. 4, S. Vg. a. Arthur Rimbaud und Scheitern der Poesie, http://spektakel.blogsport.de/radio/

2 Vgl. Walter Benjamin, GS I. 1, Abhandlungen, Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik, Erster Teil: Die Reflexion, II. Die Bedeutung der Reflexion bei den Frühromantikern, S. 26, Frankfurt/M. 1991. Benjamin nennt folgende Quelle für das Hölderlin-Zitat: Untreue der Weisheit, Ungedruckte Handschrift aus den Sammlungen auf Stift Neuburg, in: »Das Reich«, Vierteljahresschrift, I. Jahrgang, München 1916. Vgl. auch: Das Unendliche: »Ob ich des Rechtes Mauer, Die hohe, oder krummer Täuschung Ersteig und so mich selbst Umschreibend, hinaus Mich lebe, darüber Hab ich zweideutig ein Gemüt, genau es zu sagen. [Absatz] Ein Scherz des Weisen, und das Rätsel sollte fast nicht gelöst werden. Das Schwanken und das Streiten zwischen Recht und Klugheit löst sich nämlich nur in durchgängiger Beziehung. »Ich habe zweideutig ein Gemüt, genau es zu sagen.« dass ich dann zwischen Recht und Klugheit den Zusammenhang auffinde, der nicht ihnen selber, sondern einem dritten zugeschrieben werden muß, wodurch sie unendlich (genau) zusammenhängen, darum hab ich ein zweideutig Gemüt.“ [Friedrich Hölderlin, KSA 5, Pindar-Fragmente, S. 311, Stuttgart 1946-1962.]

»Kafka mit Marx.«

Um sprachphilosophische Reflexionen zu provozieren, braucht man zwei Aussagen nur einmal zusammenzulesen: »Die Sprache kann für alles außerhalb der sinnlichen Welt nur andeutungsweise, aber niemals auch nur annähernd vergleichsweise gebraucht werden, da sie, entsprechend der sinnlichen Welt, nur vom Besitz und seinen Beziehungen handelt.«1 – »Die einzig verständliche Sprache, die wir miteinander reden, sind unsere Gegenstände in ihrer Beziehung aufeinander. Eine menschliche Sprache verständen wir nicht und sie bliebe effektlos; sie würde von der einen Seite als Bitte, als Flehen und darum als eine Demütigung gewußt, empfunden und daher mit Scham, mit dem Gefühl der Wegwerfung vorgebracht, von der andren Seite als Unverschämtheit oder Wahnwitz aufgenommen und zurückgewiesen werden. So sehr sind wir wechselseitig dem menschlichen Wesen entfremdet, daß die unmittelbare Sprache dieses Wesens uns als eine Verletzung der menschlichen Würde, dagegen die entfremdete Sprache der sachlichen Werte als die gerechtfertigte, selbstvertrauende und sich selbst anerkennende menschliche Würde erscheint.“2

1 Franz Kafka, GW 7, Prosa aus dem Nachlaß, Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg, 57, S. 45, Frankfurt/M. 1950 ff.

2 Karl Marx, MEGA Band I, Zweiter Teil, »Ökonomische Studien, James Mill« von 1844-1845, S. 530-547, Berlin 1932.

REFLEXIONEN AUS DER BESCHÄDIGTEN SPRACHE

»Ich würde mich gerne mit einem einzigen Wort begnügen, rein und lebendig gehalten in seiner Abwesenheit, hätte ich durch es nicht das ganze Unendliche aller Sprachen zu tragen.« Maurice Blanchot, Die Schrift des Desasters, S. 149, München 2005.

I. Reflexionen aus der beschädigten Sprache entzünden sich daran, dass die Sprache nicht nur roh, sondern auch stumm ist. Mögen die Menschen auch noch soviel reden, sie vergessen, dass die Sprache tot ist, weil das sprechende Individuum nichts mehr zu sagen hat, in dem Sinn, dass auf sein Wort hin nichts geschieht. Sprache indiziert seine Ohnmacht, auch wenn keiner weiß, dass die Sprache nur noch um sich selbst bekümmert ist. Und auch wenn sie sich nie zur Gänze in ihrer Stummheit zeigen wird, lässt sich dies nicht schlicht mit der Unfähigkeit erklären, dass es kein ausgebildetes Organ für die Perzeption dieses echolosen Grundes der Sprache gäbe. Dieses Stumm-Sein der Sprache kann man nur als eine bloße Kategorie denken, mit der man die Sprache als Einheit des Mannigfaltigen ihrer Formen denkt. Es ist keine Kategorie, die man gebraucht, geschweige denn anwendet, da sie eine Denkform ist, mit der man in äußerster Diskretion eine Aufmerksamkeit und Konzentration für das Organon einer organlosen Sprache herzustellen vermag, in dem man sich mit dem Indiz auseinandersetzt, dass die beschädigte Sprache, in deren Phänomenen man sich als Sprachkritiker bewegt, Ausdruck für die alltägliche Produktion beschädigter Sprache in einer sprachgestörten Welt ist.

Die Sprache ist nicht einmal nur einfach tot, da sie aus einer überdeterminierten Akkumulation toter Intentionen gebildet ist. Sie ist also gar nicht mal so sehr aus dem Grunde lebendig, weil man selbst noch am Leben sein muss, wenn man sprechen, bzw. schreiben will, sondern sie erscheint aus einem anderen Grunde lebendig: Sie spinnt sich aus einem Wechselspiel ihrer toten Arbeit und dem hervor, was sie vom Individuum absorbiert, was dieses produzieren muss, um überhaupt einen artikulierten Widerspruch gegen die »Arbeit des Todes«, also den Todestrieb, exekutieren zu können.

Man kann als jemand, der permanent in der Reichweite der Totenglocke schreibt, nicht ganz begreifen, dass die Sprache einem angesichts des Todes doch noch so lebendig erscheinen vermag: Da ihre lebendige Gestalt sich verschwenderisch angesichts der gegenwärtigen Dunkelheit des Todes verschwendet, so dass man nicht nur um sie Angst bekommt, sondern auch um alles das, was trotz, dass es existiert, äußerst flüchtig erscheint. Um sehr vieles ist es nicht schade, dass es sich auflöst. Doch hier zeigt sich fast nur die Ohnmacht des Schreibens, darüber je eine Entscheidung fällen zu können. Nichtsdestotrotz darf man von einem poetischen Moment sprechen, da eine lebendige Sprache jenseits von creatio und creator aufscheint.

II. Will man eine exakte und konkrete Poesie entdecken und erfinden, darf nichts von dem, was man schreibt, dass Motiv enthalten, etwas Bedeutendes sein zu müssen, indessen man ebenso nicht auf den unleugbaren Wunsch verzichten mag, dass zu sagen, was zu sagen ist, da die Wirklichkeit die Bedingung der Möglichkeit des Schreibens ist, und sie als Ziel nicht schlicht eine Projektion für engagiertes Schreiben sein kann.

Strebt man beim Denken und Schreiben nach Klarheit und Deutlichkeit, indem man »von zwei Worten […] das weniger bedeutende« wählt [Paul Valéry] – da Tiefe nur ein billiger Trick, ein sprachlicher Kniff ist, um mit einer gegenstandslosen Beziehung zum Leben und zur Sprache zu unterhalten – verzichtet man auf Brimborium. Exaktes Denken und präzise Form geben dem Leser hinreichend den Gegenstand, um ihn zu bedenken. Wenn doch auf Überflüssiges gesetzt wird, dann aus Mangel an poetischem Moment.

Schreiben und Denken bedürfen notwendig des poetischen Moments in und durch die Sprache, damit sich überhaupt eine lebendige Gestalt derselben zu entfalten vermag, ohne das man sich selbst dabei zurichtet, den Gegenstand interessiert und willkürlich konstruiert, indem man die Arbeit des Begriffs, bzw. die Kritik (an) der Arbeit des Begriffs nicht den vom Begriff unabhängigen Bestimmungen verweigert. Man schreibt, was man zu sagen hat, nicht in dem man auf einen Zweck, Nutzen, nicht auf Vergangenes oder Zukünftiges spekuliert, nicht einmal darauf spekuliert, sich endlich selbst in der Gegenwart  zufrieden zu genießen.

Man schreibt, nicht um zu demonstrieren, dass man ein tiefsinniger Denker ist, sondern um dort, wo die Erscheinung das Wesen sondiert, anhand des oberflächlichen Wesens der Welt die gegenständliche Wirklichkeit zu begreifen. Es handelt sich dabei um eine Unaufdringlichkeit, eine die nicht beständig ausrufen muss: Seht her! Wie bin ich doch edel und zurückhaltend. Sie entspringt der Sache. Nicht das Wichtigtuerische, das Wesentliche ist entscheidend.

III. Dialektik kennt eine Zone, aber weder initiiert sie diese bloß noch bewegt man sich mit ihr in dieser positiv. Da die Dialektik die Strategie und Taktik einer Logik ist, die in und durch das Denken Vermittlung und Widerspruch konfrontativ zu konstellieren vermag, weil es jenseits der begrifflichen Bestimmungen darum geht, die Asymmetrie der realen Unterschiede zu erfassen. Man wird nämlich immanent zur Situation der Schrift nicht ignorieren können, dass man mit der Negativität der Schrift konfrontiert sein wird. Doch anzumerken bleibt, dass die Negativität der Schrift nicht mit der Asymmetrie dessen zu identifizieren, was die realen Unterschiede vermitteln, weil man zumindest folgende logische Bedingung berücksichtigen muss: dass die sich asymmetrisch vermittelnden realen Unterschiede für eine mögliche, logische Substanz der Wirklichkeit in und durch die Negativität der Schrift sich in eine substanzlose logische Form verwandeln müssen, um die generelle Negation der Sprache, die mit dem Charakter der gegenständlichen Wirklichkeit vorgenommen wird, zu begreifen. Die Negativität der Schrift indiziert jedoch, dass sich die Dezentrierung der Wirklichkeit als Spuren in der Dezentrierung in der Sprache  effektuiert. Die Annahme eines Gespürs, welches auf die Metaphorik eines irritablen und  sensiblen Organs zurückgeht, dürfte dafür nicht ausreichen, da es gilt, besondere Einbildungskraft und das Abstraktionsvermögen mannigfaltiger miteinander assoziieren zu lassen. Falls diese Zone eine des Seins sein sollte, wird es notwendig, sie in und durch eine negative Ontologie zu denken.

IV. Auch wenn es für einen selbst anstrengend gewesen sein wird, einen Gedanken für die Schrift zu erringen, die als Prosa so etwas wie die grundlegende Struktur eines dynamischen Berichts von der Arbeit am Begriff ist, darf dieser im Sinne einer Ethik des Denkens nur unprätentiös und subtil in ungebundener Rede vorgetragen werden. Denn das Unprätentiöse und das Subtile gilt als soviel mehr. Ein errungener Gedanke, der nur einen Augenblick lang wahr sofort wieder erlischt, verfliegt, gilt schon als unprätentiös und subtil.

V. Die intellektuelle Sensibilität dafür, wie fragil die synthetisierende Kraft angesichts des nie ganz zu begreifenden Wechselverhältnis des Ausdrucks und des Gedankens ist, lässt sich nur durch die Konfrontation mit der formal-syntaktischen, pragmatischen, praktischen und semantischen Negativität der Sprache in ein subtiles Wissen davon verwandeln; wie schwierig es zudem auch noch ist, beim anderen Gehör zu finden, darf einen nicht dazu verführen, in der Reflexion auf die der Form nachzulassen, um nichts Wesentliches vom inhaltlichen Problem des Gegenstandes zu verfehlen. Aus diesem Grunde ist es für einen selbst eine unendliche Aufgabe, Reflexionen aus der beschädigten Sprache zu artikulieren.

Glas mit seiner durchlässigen Oberfläche und mit seiner unwahrnehmbaren Opazität ist eventuell die Metapher, um sich mit dem Ideal von der »clare et distincte« auseinanderzusetzen, welches freilich in recht unterschiedlichen Variationen für sich eine geistige Physiognomie in und durch die artifizielle Gestalt der Sprache beansprucht, und für die das, was sie zu sagen hat, nicht ohne ja sogar nirgendwo anders als in der Sprache ihren Schauplatz findet. Dass das Ihre eigentümliche Ambition bestimmt – immerhin – muss an ihr gewürdigt werden.

Da ein Text noch immer Ausdruck einer Not des Denkens ist, erscheint es legitim zu sagen, dass man immer nur Etwas wissen kann, derweil man konfrontiert ist mit dem Werklosen des Denkens und Schreibens und sich einem ein dynamisches Unbeendbares eröffnet, weil diesem Etwas, als Rest des »absoluten Wissens« [Hegel] durch verändertes Wissen, von dem der Text nicht nur eine bloße Repräsentation darstellt, keineswegs eine invariable Statik zukommt. Dadurch dass ein Begriff nicht direkt für einen anderen Begriff einstehen kann, dass der Text solange er allem Anschein mit dem synthetische Vermögen in eins ist, wesentlich sich durch Alterität und Abwesenheit der Sache konstituiert, scheint sich sein allgemeines Moment insofern bestimmen zu lassen, wenn man ihn wegen der doppelten Bedeutung vom »Durcheinander« einmal Intrikat und Vermitteltsein in seiner Transparenz und Trennung sich verdeutlicht, sich ihn als ein unaufdringliches Glas veranschaulicht, in das man hineinrennt, und plötzlich aus der Stirn, das Blut herausspritzt, und der Moment davor einem wie eine widerliche Ewigkeit erscheint. Das Geschrei ist groß, der Text sagt seine Wahrheiten auf, auch wenn sie niemanden gefallen mögen.

VI. Plötzlich ist man davon überzeugt, dass die Intention des Schreibens nur noch zum Dekor und zur Destruktion etwas nutzt. Mit dem Schreiben etwas von der Wirklichkeit auszuerwählen, also zu einer Fiktion zu gelangen, bedeutet, bevor man sein sujet formt, die Elemente seiner Schrift zu finden, dem die Figuren entspringen, die einen die Plots entdecken und erfinden lassen. Was interessiert einen überhaupt an der klassischen Copula in der Literatur Erzählen ist Erinnern? Als Erzähler muss man das Reale nicht bloß deformieren, sondern auch blamieren und zerstören können. Was man an Reminiszenz vom Wirklichen als Organon dazu benötigt, ergibt sich hinreichend aus Figuren, die agieren, die dies und das machen, und dabei nie darüber nachdenken, was sie sind. Die mit keinem Atemzug den Abgrund erahnen, von dem wer oder was man ist. Und als Beobachter ihrer Szenarien muss man es noch als Rätsel aushalten, ob sie überhaupt jemals etwas davon in Erfahrung bringen werden.

VII. Manchmal, bevor man den Blick zur Schreibfläche erhebt, verschwimmt dieser, was ansonsten als erstes Anzeichen einen Tagtraum ankündigt, dauert diesmal nur ein paar Sekunden, vollzieht sich wie ein blanker Traum, der nichts Konkretes zeigt. Konkret ist nur die groteske Leere, die jedoch in ihrer äußerst kurzen Dauer nicht weiter dislozierend erscheint. Außer das sie die Abwesenheit einer Idee, eines Gedankens oder das Fehlen irgendeines diskursiven Fussels anzeigt. Nichtsdestotrotz kommt man bei diesem Phänomen auf den Gedanken, daß es eventuell der Ausdruck eines unbewußten Widerstandes gegen das Schreiben sein könnte. Indessen ist es klar, dass man damit nicht das reine Bewußtsein erlebt; dies zu glauben, wäre Blendwerk. Doch kommt dem auch noch etwas Wahres zu, nämlich: dass man eigentlich nicht schreiben will, so dass sich mit dem Schreiben etwas paradoxes ereignet: Schreiben drückt immer etwas anderes aus als Schreiben, z. B. die wesentliche Einsamkeit, bzw. die Evokation derselben mit dem gleichzeitigen Entzug.

Ohne den realen Unterschied zwischen der wesentlichen Einsamkeit des Werkes und einer Einsamkeit, die zur Präparation fürs Schreiben als einer praktischen Strategie und Taktik der authentischen Isolation benötigt wird, gäbe es weder das poetische Moment des Schreibens, also den Versuch lebendige Sprache mit dem momentanen Denken zu evozieren oder zu berühren, noch das Leben.

VIII. Denkt und schreibt man, wird man von der Zeit fasziniert, indem sie einen zu einer spezifischen Abwesenheit absorbiert: Sie drängt einen zur konzentrierten Zerstreuung des automatischen Subjekts. Die Schrift erscheint als eine mögliche Genealogie der Gegenwart, mit der man eventuell irgendwann endlich einmal die verdrängte Filiation des Todestriebes zu durchkreuzen vermag, durch die überhaupt erst das philosophische Begehren evoziert wird, welches in meinem Falle als Fiktion allem Anschein nach keine geringere Dichte als die des erotischen Begehrens aufweist, oder dass dem Unbewussten als Effekt der chaotischen Mannigfaltigkeit der Wirklichkeit entspringt. Doch ist es nicht der Todestrieb, der einem mit äußerster Diskretion sagt: »du hast doch schon immer den ewigen Schlaf begehrt«?

Wenn man bedenkt, dass sich das Leben durch eine im wesentlichen unbekannte Macht in eine Vergangenheit des irreduziblen Vorbei verwandelt, wird einem klar, dass man es mit mit einem Verlust zu tun bekommt, der sich durchs Erinnern nicht wettmachen lässt, ein Verlust, der den Verdacht provoziert, dass man angesichts diesem sich auf ein Wesentliches zu konzentrieren hat, welches sich von je her nicht ohne Zerstreuungen gebildet hat.

Man muss sich nämlich entscheiden, und in der Entscheidung sich so weit im klaren sein, dass man das Leben nicht einholt, wenn man es beschreibt. Man muss notwendigerweise auf das Leben verzichten, wenn man schreiben will. Man muss sich auch immer dem entscheidenden Abgrund, der sich wider allem Anschein doch auftut, bewusst sein, dass Schreiben und Leben sich nur an dem spezifischen Punkt ihrer Unvereinbarkeit begegnen können. Und dass man, um in der Tat schreiben zu können, was man zu sagen hat, zur unabdingbaren Bedingung hat, dass man den Leser aus dem Text auszutreiben hat. Je länger man schreibt, und dabei über die Verhältnisse von Denken und Schreiben denkt und schreibt, wird der Wunsch nach einer Sprache, die niemand lesen kann, immer stärker. Es geht einem um eine Sprache, mit der die Welt in den Wörtern verschwindet, und in der die Wörter zerstört werden. Was jedoch fehlt, ist das Antidot zum Verlöschen der Welt in und durch Bilder. Man hat den Angelpunkt davon, dass die Vernunft in der Sprache an und für sich metaphorisch ist, noch nicht gefunden. Zugleich interessiert einen noch immer die Idee, dass es eine Vernunft jenseits der Metaphorik und den Metonymien der Sprache anzustreben gilt. Hätte man man dies bereits gefunden, müsste man nicht schreiben.

VON VERSTREUTEN GEDANKEN ÜBER REFLEXIONEN IN KONFUSIONEN ZU ZERSTREUTEN GEDANKEN

 

Was zerstreut sich beim Schreiben bereits zwischen diesem und jenem Denken? Das scheint der Aufklärung zu bedürfen, wenn man den Prozess des Lesens, Denkens und des Schreibens begreifen will. Orientiert man sich dabei auf eine phänomenologische Intervention, ist es wichtig zu verstehen, dass man es mit einer Intervention zu tun hat, und nicht mit einer phänomenologischen Methode, mit der man eine epoché herstellt, was an und für sich ein Unding darstellt.

Man schreibt von einer Intervention, weil auch die phänomenologische Methode ins Geschehen eingreift. Auch ein Beobachter der sein Beobachten auf jenes Maß in der Ökonomie des Denkens reduziert, welches durch den spekulativen Satz Hegels1 einen Ausdruck gefunden hat, verharrt nicht nur im bloßen Zusehen, dem methodischen Ideal der Phänomenologie, sondern, auch wenn es nicht direkt identisch damit ist, muss realisieren, um nicht das Potential nicht realisierter Begriffe zu verwirken, was er an subjektiver Intention als Zutat zur phänomenologischen Präparation aufwirft, damit man das Szenario der epoché sich überhaupt für den spekulativen Gedanken konstituiert, darüber hinaus die versprengten Glieder einer Residualtheorie der Phänomene einzusammeln. 

Wie unmerklich das Verhältnis der Wahrnehmung zum Wahrgenommenen auch immer ausfallen mag, es ist keineswegs als eine neutrale Größe zu begreifen, es ist also schon gar nicht als der Akt eines Neutrums aufzufassen; weil also eine Präparation der epoché die Gegenwart verändert, genügt es nicht, dass die Phänomenologie in ihrem reflektierenden Verhältnis zu sich selbst und ihrem Gegenstand, also in der Verständigung dessen, was sie überhaupt treibt, dass richtige Verständnis vom Problem der Intentionalität durch die wahrnehmenden Akte verschiebt. Was damit das theoretisch Unzulängliche der Phänomenologie ausmacht, ist, dass sie nicht in der Lage ist, dass Problem der Intentionalität und die Unmittelbarkeit als unterschiedliche Probleme ihres Konstitutionsverhältnisses zu begreifen. Die Schwierigkeit besteht darin, dass sich dieses Projekt in der Filiation zu Edmund Husserls gerade durch dieses Problem, durch diese Schieflage als Phänomenologie überhaupt konstituieren konnte. Was bei Maurice Merleau-Ponty nicht nur bloß unter veränderten Vorzeichen wieder auftaucht, so als müsse man in der Tat sich selbst ein philosophisches Organ als das intellektuelle Sensorium eines Bestiariums durch artifizielle Bildung heranzüchten, so dass man als monströse Kreuzung zu beobachten vermag, was bei Maurice Merleau-Ponty mit der Wiederkehr des Verdrängten darauf insistiert, was als »Tücke des Objekts« einer Dialektik als Analytik der Negativität sich indiziert: die »Vernunft des Leibes«.2

Angesichts dieser Szenerie hat man darauf zu achten, wie man sich bei zerstreut eingreifendem Denken, in intimer Schreibzeit mit einem zänkischen Gehirn in einem Hieronymus-Gehäuse inszeniert, welches auf Funktion und Wert des Literarischen erst mittels der theoretischen Fiktion vom atopos der wesentlichen Einsamkeit des Werkes, von der radikalen Abwesenheit der Präsenz der gegenständlichen Welt und von der Präponderanz und Primat des Objekts zu reflektieren vermag. Dies unternimmt man noch, wegen eines phänomenologischen Projekts eine Vernunft der Wahrnehmung zu artikulieren, die unverkennbar ihre Fluchtlinien durch eine rationalistische Begrifflichkeit zu artikulieren, da dieses Objekt überhaupt nur durch strikte Antinomien hindurch vermittelt aufzuscheinen vermag.

Wer zum Denken das Schreiben benötigt, weil ihm bis dato noch immer nicht die menschliche Sprache durchs Sprechen aufgehoben zu sein scheint, dem ereignet sich das Sprechen vor allem in der Unterhaltung, in der man ausgesucht zwanglos im Plauderton unter Leuten, die sich für Kritiker halten, konversiert. Dort wird es für ihn plötzlich erklärungsbedürftig, dass man Denken und Schreiben näher zueinander wähnt als das Sprechen, und sich infolgedessen der Verdacht rührt, dass man damit einem hierarchischen Verständnis dient. Dass die Sprache, bzw. die Schrift bereits dem Sprachsubjekt immer schon vorgängig sich verhält, kann zwar getrost zu den postmodernen Gewissheiten gerechnet werden, die jedoch obsolet wird, wenn man nicht die Brüche und Spalten zwischen dem Ausdruck, dem Gegenstand und der in den Begriffen aufscheinenden Sache nicht in der »Logik des Zerfalls« in einem denkt, wo keines eines und vice versa ist, wo es »kein Sein ohne Seiendes«, kein Signifikat ohne »den Signifikanten des Signifikanten«, »keine Spur ohne Nichtidentisches« zu behandeln gibt.3

Die Sprache verhält sich in und durch die Schrift in äußerster Diskretion zum Denken. Dass das Denken dabei dem Moment des Ausdrucks näher als das Schreiben sein soll, ist bei weitem keine kleinere Fiktion, aber eine ungenauere als ein Text; auch wenn dieser nicht so ohne weiteres fiktional die Wahrheit zu sagen vermag. Man wird sich also, wenn man sich für den Reichtum des Schreibens interessiert, mit den „feinen und nie völlig zu begreifenden Wechselverhältnis des Ausdrucks und des Gedankens“4 auseinanderzusetzen haben; doch nicht dadurch, dass man dieses Wechselverhältnis auseinanderreißt, indem man Form und Inhalt in Dichotomien oder gar nur in Disjunktionen denkt, sondern indem man sich die Produktivität von strikten Antinomien erschließt, indem man es versteht in und durch deren prozessierenden Charakter literarisch zu handeln. 

Stellt man das ich denke dem ich schreibe entgegen, so fasst man die Rede als sprachliche Gestalt, die sich zum Denken äußerlich verhält. Der Ausdruck löst sich nicht per se in der Mitteilung auf, so dass nichts mehr von diesem übrig bleibt. Niemand, der denkt – das sagt man eingedenk der klassischen Formel »das wie ist das was« – wird behaupten können, dass das Denken mit seinem Ausdruck im Sinne der Selbstreferentialität identisch mit sich selber bleiben kann, wie stark eine Sehnsucht nach einer radikalen Identität auch sein mag, die deren real noumenale Erscheinungsform als wesentliches Mangel beseitigen will, nicht ohne durch das allgemeine Moment, die Bestimmungen eines Gegenstandes konfrontiert worden zu sein, die sich in und durch eine konkrete Einheit des textuellen Prozessierens zeigen. 

Nichtsdestotrotz wird man keineswegs ohne Identifikationen arbeiten können. Die Schrift bildet eine ungeheuerliche Reserve davon,5 die sich nicht als eine schlichte Akkumulation von Material oder Stoff verhält, sondern sich zu dem Denkenden als etwas anderes, nämlich als eine veränderte und sich verändernde entpuppt, indem sie die Bedingungen für die Maßverhältnisse eröffnet, mit der die Kontingenz des Denkens die Möglichkeiten seines Sprachhandelns hinsichtlich der Begriffsbildung findet. Entfaltet sich das Denken begrifflich, so drängt es bereits über die Kontingenz seines eigenen Sprachhandelns hinaus und muss doch dieses transzendente Moment in Spuren immanent in und durch die Spracharbeit und Struktur einholen, was sich nicht durch konsistierende Konkretion zur Immanenzebene bewerkstelligen lässt, sondern in und durch die konfrontierende Insistenz der Negativität der Identität des Begriffes in Relation mit seinem Gegenstand, der erst durch eine sich abzeichnende konkrete Identität, dem Begriff und somit dem Denken überhaupt etwas verschafft. Und das ist bereits ein Faktor neben dem unverfügbaren Moment des Ausdrucks, in der die Situation die Schrift beeinflusst. Die Schrift, die einen nichts, nicht mehr abzuschreiben vermag, schreibt wenigstens noch das Denken, als dem Movens der Schrift ab. Die Schrift schreibt im wahrsten Sinne des Wortes jedoch die Person ab, die sie hervorgebracht hat, da sie nämlich nicht mehr von dem eingeholt bzw. zurückgeholt werden kann, der sie geschrieben hat. Man spricht also vom Abschreiben in der Fülle seiner Ambiguität, so wie man einen Boxer im Ring abzählt. 

Bis zu einem gewissen Punkt ist es nämlich nicht zutreffend gesagt, dass man beim Schreiben an einer Schrift arbeitet, auch wenn man den Text unter einem systematischen Vorbehalt bis zur letzten Hand dem Urteil eines Lesers vorenthält, und also in der Erwartung oder in der Spannung zu einem Maß für die Schrift versucht ist, ihr einen Werkcharakter aufzuprägen, kennt doch der aktuelle Vollzug des Schreibens vor allem kein Arbeiten an der Schrift. Als Autor muss man sich angesichts der gespenstischen Objektivität der intentionalen und existenziellen Einsamkeit eingestehen, die zur Realität geworden ist, dass man die Arbeit der Schrift nie ganz realisieren wird. Zum einen ist der topos der Einsamkeit unabhängig vom Talent oder je nachdem der Schwäche des Autors keineswegs schlicht, wie der des reinen Selbstbewusstseins, welches noch alles in seiner Einfachheit in sich enthält,6 sondern diese ist ein komplexer und komplizierter topos, den man eventuell deshalb nie ganz realisieren wird, weil man diesen immer auch nur unter einem bestimmten Vorbehalt bewerkstelligen kann, weil man durch sein intentionales Verflochtensein mit dem Werk, welches sich darin zuspitzt, dass man sich selbst eine Verpflichtung auferlegt, die Bedingungen der Arbeit an diesem Werk abzusichern, instinktiv und intuitiv nur diätisch in vorsichtigen Dosen dieser einen enormen Gewalt der Werklosigkeit auszusetzen vermag. Auch hier werden die Lücken der Unmöglichkeit, der Mangel des Vermögens nicht völlig ausgeräumt werden können. 

Versucht man von der Einsamkeit zu schreiben, indem man sie als einen komplizierten topos skizziert, reduziert man sie weder auf diesen, da sie ebenso einen atopos eröffnet, noch auf Letzteren. Dies zeichnet sich besonders durch die existenzielle und intentionale Einsamkeit ab, in der sich der artikulierte und organisierte Widerspruch zur Welt mit der Negation der Existenzbedingungen des Einsamen zu jenem »ich bin nicht von dieser Welt«7 verdichtet. Jedoch ereignet sich die Tragödie des Einsamen, da sie sich massenhaft auch bei anderen vollzieht, als Farce. Es ist heutzutage schon eine Farce, allein zu sein, so wie es eines Masochismus und Sadismus gegen sich und anderer bedarf, um überhaupt eine Ambulanz mit der Gesellschaft auszuhalten.

Die Tragödie des Einsamen besteht darin, dass er von einem atopos ausgehen muss, um begreifen zu können, wo er sich selbst befindet. Es scheint, als könne man keinesfalls von der Einsamkeit schreiben, ohne einen komplizierten topos für ihre Darstellung auszusuchen. Maurice Blanchots dreifache Unterscheidung der Einsamkeit, von der er vor allem die »wesentliche Einsamkeit [des Werkes]« hervorhebt, deutet darauf hin.8 Aber was ist, wenn die Einsamkeit in Wahrheit nicht ohne diesen atopos zu denken ist? Die Frage drängt sich einem unwillkürlich auf, denn: was den Einsamen umtreibt, ist ein Chronotopos, der ihn derart affiziert, dass man inmitten der notwendigen Reflexion auf das, was er mitzuteilen gedenkt, nicht ohne Zeitlichkeit und Räumlichkeit seiner Gedanken zu begreifen vermag, derart, dass man sogar noch darauf insistieren muss, dass die Begriffe, die er entäußert, die Zeit der Sache und den Raum der Sprache exakt treffen, und zwar nicht minder relevant, wie für die Sache das proprietas verborum zu finden ist. 

Für die wesentliche Einsamkeit gilt das Primat des atopos vor dem komplizierten und komplexen topos der Einsamkeit. Im Unterschied zu Blanchot versteht man diese These zunächst in einer engen Verknüpfung zum Primat des Objekts, dem man sich jedoch nicht unbedingt in und durch eine existenzielle und intentionale Einsamkeit widmen muss. In der Anonymität der wesentlichen Einsamkeit erkennt man jedenfalls für sich allein das Schicksal der Gattung. Plötzlich indiziert der Atem, dass man nicht mehr als den zufriedenen Tod der Menschheit zu sterben hat. Es wird einem klar, dass die gesamte Menschheitsgeschichte nichts anderes wird sein können, als ein vergeblicher Aufstand gegen den Staub. Der Staub, der einen immer wieder darüber ins Grübeln versetzt, wie überhaupt die objektive Möglichkeit der erscheinenden Wirklichkeit zu erkennen ist.

So wie der Autor als Produzent der Ausgabe letzter Hand systematisch den Lesern von seinem Werk immer auch etwas vorenthält, bis zu einer gewissen Rigorosität mit einem Vorbehalt, den durch die Literaturgattungen bereits als gegebene Gattungen, die zweifelsohne immer die Fiktion braucht, dass das Aktualisieren des Denkens durchs Schreiben in seinem Vollzug exakt jene semantischen Effekte hervorruft, bei denen andere bereits auf den Knopf drücken. Zweifelsohne ist auch aktualisierendes Schreiben Arbeit, aber dadurch das ihm durchs materiale Arbeiten in der Konzentration aufs inhaltliche Problem sein Movens zukommt, bleibt dem Schreiben der werklose Charakter der Schrift immanent. Denn als Schriftsteller, der für die Kohärenz seines objektiven Zusammenhangs auf die Produktion eines Werks spekuliert, arbeitet man bereits im Werk, das so wesenlos wie es ihm auch erscheint, gerade das Unwesen der Werklosigkeit ihn daran hindert, es nur in dieser Erscheinungsform betrachten zu können.9

Dass sich während diesen beiden sich unterscheidenden Relationen zur Zeit der »Zeitkern« der Schrift einen Doppelcharakter in einem aktuellen und virtuellen Aspekt öffnet und exponiert, in dem das Können und das Wissen in und durch die Sprache als unmittelbare Wirklichkeit des Denkens zunichte gemacht wird, also zugrunde geht, kann nicht durch abstrakte Einfühlung ins Material oder der etwas organisierteren Variante davon, dem Stoff, wettgemacht werden. Da die Idee und das Denken nicht einfach neben die Sprache treten, wie der Preis als Etikette des zur Ware gewordenen Gegenstandes. So spielt man immerhin beim Schreiben, in dem man so tut, als sei die Schrift nicht nur ein Palimpsest dessen, was bereits gedacht worden ist, sondern auch was durch die Schrift davon noch immer als wiedererkennbar erscheint, indem es Ähnlichkeiten zwischen dem Denken, Schreiben und dem Gegenstand durch eine organlose Sprache gestaltet.

Da der Name nicht blosses Element einer Nomenklatura für die Gegenstände sein kann, ist an den Namen zu indizieren, das jemand mit dem Schreiben begonnen hat, mit dem sich recht deutlich die Akzidenzialität des Denkens durch die tatsächlich, gegenständlich, wirklich und sprachlich affizierende Entfremdung der Sprache als einer gesellschaftlichen Produktion abzeichnet,10 deren unvermittelte Realität in Form eines praktischen Bewusstseins konfrontiert. Die Distanz des Denkens zum Begriff wird also schon dadurch leibhaftig und peinlich wahrnehmbar. Nicht umsonst findet man an dieser die Mühen von gefährlichen Ebenen. Dass das Schreiben nicht zum Ausdruck des psychischen Interieurs werden kann, liegt klar auf der Hand, weil es sich schlicht an dem Umstand, dass die Negativität der Sprache, die die Rückseite der Fassade ihrer Objektivität bildet, sich am unverfügbaren Moment des Ausdrucks auflädt. 

Freilich kann man das ich denke dem ich schreibe entgegen setzen, ein bisschen Schwund bleibt nämlich immer. Doch dessen Differenzen wollen bestimmt, und nicht nur verdammt sein, angesichts der allem Anschein nach eigensinnigen Poesie, die es dem Dichter zum Schicksal macht, das er lieben muss, wie jemand, der seinen Tod als das leere Nichts zu revozieren hat, dadurch das er bereits schon immer zu dem, was und woran er gerade jetzt schreibt, sich nur noch posthum verhalten kann, bereits das erste Wiederlesen, bereits das mehr oder weniger konkrete Verständnis dessen, von dem, was er gerade schreibt, ist nichts anderes als die Oberfläche von der Wolke seines Nichtswissens, ist nichts anderes als diesem affirmative nescire seines Schreibens zu entkommen, das ihm nichts offenbart.

Mit dieser Entgegensetzung handelt es sich nicht um ein dichotomisch strukturiertes Subjekt, auch wenn es einmal sagt, ich denke und ein anderes, ich schreibe, und welches damit das eine Subjekt der Aussage das der anderen vergessen macht. Aber wer weiß das schon, ob und wie man sich nicht auch hier mit einem vorbehaltlos erscheinenden Vorbehalt etwas vormacht, nicht wahr?

Wenn man hingegen sagt, »ich schreibealso denkt es sich in mir«, ist man jenes Subjekt eines sich beim Schreiben invaginierenden Narzissmus, welches, keineswegs mehr rein naiv, die Scham des Ich-Sagens bereits kennt, jedoch zugleich diese Scham zu nichts provozieren will und ebenso so gut wie nichts davon wissen will, also hat man nur die Worte: Das Subjekt wird durch die äußere Gestalt der allem Anschein nach ungebundenen Rede zerstreut, welches sich wie durch Geisterhand unter der eigenen Hand in und durch eine Prosa entfaltet, die eine entstellte Ähnlichkeit mit der Sprache und den Zirkeln der Referenz unverwandt ausbreitet. Alles scheint irgendwie zusammenhängend zu sein, und doch wird die Wahrheit gerade durch Kohärenz und Konsistenz ausgetrieben. Es gerät in ein Werden, ohne diesem bewusst zu werden, solange es sich rückhaltlos der Schrift ausliefert, da nur in der Extrapolation der Sprache des Geringsten entweder der imaginäre Punkt des Objekts berührt, oder durch die Sprache des Imaginären das phantastische Objekt evoziert werden kann, was auch dann noch gilt, wenn einem das Schreiben ins Stocken gerät, um eine recht merkwürdige Ohnmacht des Schreiben-Könnens zu demonstrieren. Doch bevor man endlich von der erstarrten Unruhe des Negativen ergriffen wird, erscheint das bis ins Unendliche sich neigende Verausgaben wie ein freies Tänzeln, in dessen Bewegung man sich enthusmiasierend hineinwirft und dreht, da man mit diesem Tänzeln dem Boden, auf dem die alltägliche Existenz stattfindet, spotten kann.

Das Subjekt wird derart zerstreut, dass es sich in der unwahrnehmbaren Dimension der Wirklichkeit auflöst, die man nur allzu gerne bereit wäre als die Grenze der Sinnlichkeit zu betrachten, was freilich nicht ganz stimmt und triftig erscheint, wie man sich den Alltagsverstand noch immer damit panzert, in einer Wirklichkeit, in der im Detail sich die Unwahrheit versteckt, mit dem Glauben, nur mit dem, was man mit den eigenen Augen gesehen hat. Doch die Geschichte der Metaphysik, die ja in und durch die Artikulationen selbst eine wandelbare Gestalt zeigt, verweist darauf, dass diese verwilderte Selbsterhaltung ohne Selbst nicht nur auf die Situation dessen adhäsiert, was sich durch die sinnliche Affizierung unbewusst mit einer potentiell ressentimentgeladenen Artikulation eines gesellschaftlichen Substrats in Beziehung setzt. Dieses Vergessen machen wollen des Subjekts als Subjekt ist nicht mit der bloßen Suggestion eines Objektiven zu verwechseln, sondern sie findet schon immer auf die Schwelle des »literarischen Raums« eine Zone11 in den man sich in den Anamorphismus dieses sekundären und kollektiven Narzissmus, der dieses Bekenntnis ausspricht, versucht luzide einzuschreiben, dort wo ein ziemlich zerstreutes und zerstreuendes Licht die Szenerie profan illuminiert, um zugleich das nonfiktionale Objekt, welches als ein nervöser Genius nichtsdestotrotz sich dezent verhält, indem, was man vorgibt, nicht zu wissen, wie man die Wahrheit durch die Fiktion sagt.

1 »Das Urteil ist eine identische Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat; es wird dabei davon abstrahiert, daß das Subjekt noch mehrere Bestimmtheiten hat als die des Prädikats, sowie davon, daß das Prädikat weiter ist als das Subjekt. Ist nun aber der Inhalt spekulativ, so ist auch das Nichtidentische des Subjekts und Prädikats wesentliches Moment, aber dies ist im Urteile nicht ausgedrückt.« Hegel, W 5, Wissenschaft der Logik I, Erster Teil: Die objektive Logik, Erstes Buch: Die Lehre vom Sein, Erster Abschnitt: Bestimmtheit (Qualität), C. Werden, a. Einheit des Seins und Nichts, Anmerkung 2, S. 93, Frankfurt/M. 1979.

2 Nietzsche hatte die Ambition der Philosoph von der »Vernunft des Leibes« zu werden. Sein Atheismus und seine Ideologiekritik gegenüber dem Christentum, den Priestern, der abendländischen Metaphysik sah er im Dienst dieses positiven Zwecks seines Philosophierens. Dessen Ressentiments gegenüber der Schauspieler-Kunst, dem Weib, den Sozialisten, ja sogar der Commune, dürften zugleich Indiz genug dafür sein, dass ihm dies nicht ganz gelungen sein dürfte.

3 Vgl. »Wo keins ist, ist eins«. Martin Blumentritt, Susanne Sippel und Michael Löbich diskutierten über die Dialektik im Radiosender FSK Hamburg, »Wo keins ist, ist eins #1 (09.10.2011)- Wo keins ist, ist eins #15 (09.12.2012): http://audioarchiv.blogsport.de/2011/10/14/wo-keins-ist-ist-eins/

4 Wilhelm v. Humboldt, Grundzüge des allgemeinen Sprachtypus, zit. n.: Walter Benjamin, GS VI, Fragmente vermischten InhaltsAutobiographische Schriften, Zur Sprachphilosophie und Erkenntniskritik, Reflexionen zur Humboldt, S. 27, Frankfurt/M. 1991.

5 Denn das Schriften-Sammeln scheint ja für jene närrischen Liebe desjenigen da zu sein, der von einem Charles Baudelaire des 21. Jahrhunderts träumt. Dem Tokyo als ein anorganisches und lebendiges Lamellenwesen wird. Jemand, dem das Schreiben nicht einmal mehr zum totschlagen der Zeit gereicht, mit der man sich in sein Kontingent-Sein verliebt, sein Inkonsistent-Werden seismographisch notiert, um das dialektische Prozessieren von Mangel und Verlust zu entziffern, mit einer Form der Allegorie, die auf der Höhe des 21. Jahrhunderts die Antinomie von Sagen und Zeigen innerhalb der Naturgeschichte gestaltet.

6 Hegel spricht auch an der Stelle wo er grandios poetisch die Metapher vom Menschen als der »Nacht der Welt« darstellt, vom bloßen Moment des reinen Selbstbewußtseins. Vgl. G.W.F. Hegel, Naturphilosophie und Philosophie des Geistes. Vorlesungsskript zur Realphilosophie (1805/06), Kapitel: Philosophie des Geistes, Abschnitt I. Der Geist nach seinem Begriffe, a. Intelligenz, in: Jenaer Systementwürfe III, Naturphilosophie und Philosophie des Geistes, neu hrsg. von Rolf-Peter Horstmann, Hamburg 1987, S. 172.

7 Wenn einem aus truistischer Höflichkeit die Frage gestellt wird, »wie geht es ihnen«, und man zur Antwortet gibt, »nicht den Umständen entsprechend«, so spielt man als Atheist nicht als Christ auf die mögliche Exegese der Existenz der anderen, die von etwas anderem und die eigene in ihrer biblischen Bedeutung mitsamt jenem »ich bin nicht von dieser Welt« (Joh 8, 23) an. Friedrich Rückerts »ich bin der Welt abhanden gekommen«,* welches man seit Jahren wie unter einem beinahe schon rätselhaften Zwang als fixe Idee dazu assoziiert, demonstriert einem mit ziemlichen Unbehagen eindringlich, was die grundlegende Befangenheit zu leben ausmacht. Ein psychischer Schmerz, der mit einer konstanten Hemmung einhergeht, entfremdet zwar einen, doch paradox genug, gibt dieser einem die Chance, eventuell doch einmal und nicht einmal auszudrücken, was die unmittelbare Anschauung des Daseins ausmacht, was man übrigens nicht wird erleben können, weil die Empfindung, die Stimmung oder das Gefühl, nur der Schein des Ansichseins des unmittelbaren Daseinswahrnehmung sein kann. Man ist davon überzeugt, dass es auch in dem Moment nicht stattfinden würde, wenn man sich mit aller Konsequenz mit dem identifizieren würde, was einem unmittelbar gegeben zu sein schiene; würde man dies erfüllen, so würde dies zugleich eine Situation, die eigentlich nur im Denken stattfinden könnte, in der dies einem ungeschickt geschickt widerfährt, mit einer realitätstüchtigen Realitätsverweigerung, transzendieren.

Ich bin der Welt abhanden gekommen, / Mit der ich sonst viele Zeit verdorben, / Sie hat so lange nichts von mir vernommen, / Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben! // Es ist mir auch gar nichts daran gelegen, / Ob sie mich für gestorben hält, / Ich kann auch gar nichts sagen dagegen, / Denn wirklich bin ich gestorben der Welt. // Ich bin gestorben dem Weltgetümmel, Und ruh‘ in einem stillen Gebiet! / Ich leb‘ allein in meinem Himmel, / In meinem Lieben, in meinem Lied! Friedrich Rückert: Werke, Band 1, Leipzig und Wien [1897], S. 170-171.

8 Vgl. Maurice Blanchot, Der literarische Raum, I. Die wesentliche Einsamkeit, S. 11-28, Zürich 2012; Vgl. Maurice Blanchot, Das Neutrale. Philosophische Schriften und Fragmente, S. 93-109, Zürich/Berlin 2010.

9 „Schreiben beginnt nur, wenn Schreiben die Annäherung an jenen Punkt ist, wo sich nichts offenbart, wo inmitten der Verheimlichung Reden [parler] immer nur der Schatten des Sprechens [parole] ist, Sprache, die immer nur ihr Bild ist, imaginäre Sprache und Sprache des Imaginären, jene, die niemand spricht, Gemurmel des Unaufhörlichen und des Unbeendbaren, dem Schweigen auferlegt werden muss, wenn man, endlich, vernommen werden will.“ Maurice Blanchot, Der literarische Raum, II. Annäherung an den literarischen Raum. Mallarmés Erfahrung, S. 44, Zürich 2012.

10 Vgl. Karl Marx, MEW 3, Die deutsche Ideologie, I. Band: [Kritik der neuesten deutschen Philosophie in ihren Repräsentanten Feuerbach, B. Bauer und Stirner], I. Feuerbach, A. Die Ideologie überhaupt, namentlich die deutsche, S. 26, Berlin 1978.

11 Eine Suggestion ist insofern keineswegs bloß schlicht, sobald man sich der Mittel zu bedienen weiß, mit denen man eine Evidenz evoziert, die auf etwas anderes als auf die Suggestion allein zeigt. Erst durch diese notwendige Bedingung tritt die Evidenz aus ihrem vorgeblich eigenen Kreis heraus, wenn man ähnlich wie Marcus Steinweg sieht, wie Evidenz das Szenario der Erkenntnis verdunkelt. Es kann durch Evidenz auch noch schlimmer kommen, sie destruiert das Erkenntnisvermögen. Man kann mit ihr sich einen scharfsinnigen Verstand antrainieren, derweil man die Dummheiten seines Erkenntnisvermögen füttert. Evidenz kann nämlich objektive Erkenntnis und Wahrheit verunmöglichen.

»Zum unmittelbar gesellschaftlichen Charakter des Schlafs.«

Das Schlafen ist ein starkes Begehren; es ist ebensowenig ein aufzuschiebendes Bedürfnis, wie das Atmen, Essen und Trinken. Wie junge Menschen nach einer Nacht im Club inmitten urbaner Räume, umgeben von fremden Anderen auf der Sitzbank einer U-Bahn, schläft man vereint, bzw. zusammen.  Wenn man nicht getrennt träumt, träumt man Unterschiedliches. Träumt man nicht Unterschiedliches, träumt man zumindest Verschiedenes; was darauf hinaus läuft: Alles, was einem widerfährt, geht den Weg durch die Traumarbeit, so wie das Individuum immer in seinen Kämpfen verletzt wird. Der unmittelbar gesellschaftliche Charakter des Schlafs partizipiert zusammen mit der ideologischen Existenz der Gesellschaft an der Instanz jener  Gesellschaft für sich: das Es.

IM UMFELD EINER LEKTÜRE DER »RECHERCHE« – Katarakt vom Laut zur Schrift

IM UMFELD EINER LEKTÜRE DER »RECHERCHE«1

»Keine Stimme, kein Laut, kein Heulen war zu hören; der […] einzige Ton des Lebendigen […] war ein Zischen.“2

»The face that launched a thousand lengthy essays about hauntology.«3

»Katarakt vom Laut zur Schrift.« – Keiner zeigt eine Falte im Gesicht – die »Jetztzeit« ist zu ernst. Bereits deren nominelle Gestalt, hässlich und kakophonisch als greulicher Zischlaut, einer Schlangensprache würdiger als einer Menschensprache, erinnert einen plötzlich an die »profane Erleuchtung«.4 Ihre Bilder kommen wie in einem Platzregen, was sie trifft, das trifft sie. Als Leser in der leibhaftigen Geistesgegenwart des Schreibens, das sich an der Grenze des Schweigens bewegt, spricht man das Wort nicht aus, das einem angesichts der Exerzitien, denen man sich unterzieht, um sich in der Artikulation zu probieren, nicht so sehr für die Zunge, sondern eher fürs Auge und die tastenden Finger – also eher als ein Schriftwort – geeignet zu sein scheint. Man befürchtet schlicht in diesem Moment, dass einem die Artikulation durch idiotisch bramarbasierendes Gewäsch, wildes Gelächter, im unbestimmten Durcheinander schmutzigen Geredes, zerschlagen und zerstreut wird.5

Oft will man fort aus der Gegenwart der schroffen und spröden Wirklichkeit, will sich von vornherein nicht auf eine Konfrontation mit ihr begeben, für die man weder geschaffen ist, noch je geboren wurde. Nichts und niemand, nicht mal man selbst, kann es evident machen, dass man für die Gegenwart und deren zufälliges Moment da ist. Eventuell besteht der Sinn der Gegenwart darin, entweder aus ihr zu flüchten oder die nächste Flucht aus ihr vorzubereiten, zumindest kann man sich nicht daran erinnern, dass man jemals etwas anderes getan hätte. Zwar will man keinem Lob des Eskapismus das Wort reden, man wäre damit jedoch nicht nur gegen sich selbst sondern auch im Sinne einer »negativen Anthropologie der Massengesellschaft«6 allzu selbstgerecht, würde man das Lob des Eskapismus nur denunzieren wollen.

Wie es dazu kommt, dass es dem Gesicht nicht gestattet wird, nach außen hin Falten zu werfen, kann anhand der Frage, »darf ich ihnen die Fresse polieren«, ermessen werden, die dem Boxen als Intrikat gesichtsphilosophischer Praxis7 vorausgeht, derweil man durch spezifisches Abstraktionsvermögen und besondere Einbildungskraft sich in leibhaftiger Geistesgegenwart einen kategorialen Verdacht extrapoliert, dass die in der angestrengten und betrüblichen Phrase zusammengefasste Barbarei, »das hättest du sehen sollen, das war ein Bild für die Götter«, während einer erstarrten Unruhe und Bilderflucht sich ereignet, der keine fortschreitende Bewegung eigentümlich ist, weil die Innerlichkeit immanent zur Situation aufgepumpt durch Vergangenes, durch affizierende Affekte ungeheuerlich anschwillt, als werde man an der unpersönlichen Macht eines Zeitbanns zerniert, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint. Es erscheint einem wie eine Innerlichkeit, die keine Falten wirft, deren Bilder wie ein seelenloses Beiwerk über einem Display wie von fremder Hand gewischt werden, die den glatten Flächen, aus der jede Erinnerung an eine Angst, an jede Arbeit, Anstrengung, an ein Begehren und an Leiden ausgetrieben sind, nur allzu sehr ähneln; sie ist weder die eines Falters, noch eines Stalkers oder Surfers, als man plötzlich auf die Idee kommt, dass man die »Gefährlichkeit der großen Ebene«8 entdeckt hat.9

Die Innerlichkeit als Farce hingegen ist eine, die man sich selbst am liebsten nicht zutraut. Man will nicht wissen, wer man ist, jedoch weiß man zugleich es nur allzu gut. Man schämt sich für das Interieur, mit dem man sich aufführt; es ist einem zu peinlich, es herzuzeigen, und man will schon gar nicht darüber reden, dass die Betrachtung des Körpers von besonderem Nutzen für die Welt darstellt, da es einem äußerst fragwürdig erscheint. Wozu begegnet man einem Anderen? Was ist das für eine »Begegnung«, bei der die Frage nach dem »Wozu« wegfällt? Das könnte wirklich einmal interessant werden, wenn dies nicht permanent von einem gnadenlosen Triebwerk, dessen Heteronomie einem unverständlich und unbegreiflich erscheint, als das denunziert, was eben besonders ohnmächtig sein muss, auch wenn dies eine Autonomie in der Begegnung mit dem Anderen denkbar werden lässt. Kann man von vornherein es dem Anderen gestatten, dieses »Wozu« tilgen zu dürfen, bzw. zu können? Kann wirklich überhaupt behauptet werden, dass man jemals einem anderen begegnet ist? Man kann es anscheinend immer nur dann, wenn sich der Andere schon entfernt hat, wenn man ihn in einer gewissen Distanz, also durch das exakte Beobachten eines bestimmten Pathos, in dem man das Verhältnis zu sich selbst und zur Welt zu entfalten vermag, oder erst, wenn überhaupt ein Verhältnis zum anderen abgebrochen worden ist. Wenn man nicht schon dem Irrtum verfallen ist, dass der andere durch ein Verhältnis mit ihm sich berühren oder in einer spezifischen Gestalt evozieren lässt. Man wird nie ganz ausschließen können, dass der andere immer auch in einer fremden Opazität sich zu einem bewegt.

Dass das Insistieren auf eine Innerlichkeit, deren Identifikation mit dem Subjekt zugleich jedoch von der gesellschaftlichen Objektivität als getrennt behauptet wird, nicht mehr nur eine „verdummte Intelligenz“10 demonstriert, sondern eine Pathologie, die Hannah Arendt keineswegs mit der »Banalität des Bösen« auf den Begriff gebracht hat, zeigt sich an Eichmanns Auftreten in dem Prozess, der ihm in Jerusalem gemacht wurde.11 Eichmann beanspruchte in den Verhandlungen dort für sich zwar zu bekennen, Organisator des Massenmordes gewesen zu sein, aber ohne verantwortliche Partizipation, da er all das, was er dafür tat, so seine Verteidigung, auf Befehl von oben und selbst nicht innerlich nachvollzogen habe. Im Innersten sei er sogar dagegen gewesen, denn er behauptete im Jerusalemer Prozess allen Ernstes: „Ich war nie Antisemit.“12

Die Innerlichkeit als Wundmal der kosmischen Intimität eröffnet einem die Aporie, als dialektischer und historischer Materialist begreifen zu müssen, was „furchtbares hat die Menschheit sich antun müssen“.13 Und das ist schier unmöglich sich vom Leib zu halten, da einem die Erkenntnis davon keineswegs automatisch zukommt. Man gewinnt sie auch nicht, in dem man sich durch Übung darauf zurichtet, ebenso ist der Glaube unangemessen, dass die Wahrheit über diese historische Dimension einem schon nicht davon laufen werde. Man muss sich bewusst sein, dass man eventuell nur noch erkennen kann, wie jemand, dem hinieden auf Erden wohl kaum die rechte Zeit beschert werden wird. Diese Nötigung verdeutlicht einem Marxens Satz »es genügt nicht, daß der Gedanke zur Verwirklichung drängt, die Wirklichkeit muß sich selbst zum Gedanken drängen«14 als das Stockholm-Syndrom einer Abduktion.

Sieht man sich als ein Schriftsteller immanent zur »wesentlichen Einsamkeit des Werkes«15 herausgefordert, versucht man sich eine Wirklichkeit zu entwerfen, in der man nach Worten sucht, die einem die Grenzen des Denkens, des Schreibens und der Welt deuten, und nichtsdestotrotz das Gebiet erschließen, wo ein historisches Subjekt zu vermuten wäre, so dass sich die kosmische Intimität der Welt,16 die durch spezifische Immanenz dem Transzendenten keinen Ausweg lässt, auch keinerlei Innerlichkeit aufweist,17 und sich durch verführende und versuchende Geister des erotomorphen Cosmopolis in einer konkreten Identität seines Gegenstandes zu erkennen zu geben vermag. Dort wo ein aufgebrochenes Kuvert mit gestohlenem Geld lockt, befriedigt die in der traumlosen Gewalt der Wirklichkeit aufgelöste Nabelschnur, indes der Nabel von dem träumt, was das Blut begehrt; gleichwohl es entsetzt, erscheint es im selben Augenblick gleichgültig. Das man das Kuvert dorthin platziert hat, zeigt das eigene Einverständnis mit dem Überleben der Anderen und dem Überlebt-Werden durch die Anderen an. Man hat bereits einige überlebt und man wird von denjenigen überlebt, die einem aus den Eingeweiden lesen werden, denen man nichts mehr hinzu zu fügen hat. Aber wie bloß – jetzt nicht, nicht mehr – die Anderen überleben? Wie den Tod überleben, erst recht dieses Leben, das nicht lebt? Was ist, wenn die Toten ihre edelste Speise unter den Namen der Identitäten durch die Auferstehung des Fleisches verwandeln? Wann einer bereits verstorben ist, ist ihm nicht mehr anzusehen; nicht aus dem Grund, weil die Auferstehung des Fleisches, die die Verheißung der Namen ward, die noch leben.

Zwar schlägt dem Anschein nach an der Innerlichkeit die gesellschaftliche Objektivität qualitativ um, wenngleich das psychische Interieur nicht nur durch die gesellschaftliche Objektivität umgestülpt wird, sondern bereits unterhalb der Vorstellungen, die einen als ganze Person erscheinen lässt;18 zudem scheint auch noch die sinnliche Wahrnehmung umgewälzt, aus der die Innerlichkeit die naturgeschichtlichen Elemente ihres Konstitutionsverhältnisses empfängt, so hat man sich durchs Philosophieren diesen Vorgang nicht durch bloßen Wechsel der Kategorien, bzw. durch konfigurativen Wechsel der begrifflichen Ensembles anzuzeigen, sondern durch konstellierendes Denken zu begreifen, dass das Phänomen nicht als Exempel des Begriffs nivellierend bestätigt.

Wie widerlich dieses gedrängte Zusammensein nun einem auch noch immer erscheinen mag, fällt es einem nichtsdestotrotz schwer im Schweigen des Schreibens zu leben, derweil dessen unwahrnehmbare Stille einem das aus Vorstellungen konstruierte Gehäuse lakonisch zertrümmert. Dieses Grauen, welches man daraus empfängt, lässt sich nicht beweisen, wenn man allein bleibt. Und was ist man anderes als allein, wenn man schreibt? Um doch in diesem Schweigen leben zu können, braucht man Worte, die einen wie Kamele auf der Reise durch die Wüste tragen.19 

1 Mit »Recherche« ist Prousts Werk À la recherche temps perdu genannt. Das Wort »Umfeld« gebraucht man, weniger um von einem vermeintlichen Kanon zur Recherche zu schreiben, als vielmehr eine Art Resümee zu artikulieren, um damit sich selbst verständigen zu können, um die literarischen Erfahrungen zu diesem Ereignis intimer Lektüre zur Sprache zu bringen. Man schreibt an Texten, in denen man ästhetische, literarische und gesellschaftliche Phänomene ideologiekritisch zu reflektieren versucht. Aber man fühlt sich, trotz der Notwendigkeit auf den möglichen Ausdruck der gesellschaftlichen Arbeitsteilung durch die Textgattungen reflektieren zu müssen, sich weder auf die gegebenen Gattungen der Literatur noch der Theorie verpflichtet. Dieser Text, der sehr lose Eindrücke, quasi wie fragmentierte Skizzen von Ideen durch die Lektüre provoziert, nimmt darin insofern eine besondere Bestimmung an, weil man ihn quasi schwebend über die nicht zu überbrückende Diskrepanz von Leben und Poesie begreift. Während man an diesem schreibt, beschleicht einen der unterirdische Eindruck vom Einfluss der Lektüre der »Recherche«, auf die einen vor allem Adorno und Benjamin aufmerksam machten. Während man bei Benjamin herauslas, dass er an Prousts »Recherche« das Objekt seiner schriftstellerischen Einflußangst entdeckt hatte, so eilte einem der Ruf Prousts als promptes Genie der Prosakunst durch Adornos Kleine Proust-Kommentare entgegen; seine über die Gesammelte[n] Schriften (Sigle: GS) vielfältig verstreuten Bemerkungen zu Prousts Werk und Benjamins Essay Zum Bilde Prousts provozierten einen letztendlich zur Lektüre der »Recherche«. Walter Benjamin, GS II.1, Literarische und ästhetische Essays, Zum Bilde Prousts, S. 310-324, Frankfurt/M. 1991; Theodor W. Adorno, GS 11, Noten zur Literatur II, Kleine Proust-Kommentare, S. 203-214, Ff/M. 2003.

2 Herman Melville, zit. n. Uwe Nettelbeck, Die Reise des Tupak Yupanki, S. 182, in: DIE REPUBLIK, Nr. 41-49, 26. September 1979.

3 Dazed Digital zit. n. Klaus Walter, Geschminkte Stimmen, Jungle World Nr. 10, 6. März 2014: http://jungle-world.com/artikel/2014/10/49465.html

4 „Die wahre, schöpferische Überwindung religiöser Erleuchtung […] liegt in einer profanen Erleuchtung, einer materialistischen, anthropologischen Inspiration.“ Die Erkenntnisse die der „Sürrealismus“ bietet, so Benjamin, ähneln zwar die des Mystikers, doch da diese Erkenntnis schwierig herzustellen ist, ist sie kein Geheimnis, allenfalls ein Rätsel, weil sie sich dialektisch verhält. Sie ist „die wahre, schöpferische Überwindung religiöser Erleuchtung“, zu der die religiöse Erfahrung (ebenso wie der Haschischrauch oder die Liebe) lediglich eine „Vorschule“ abgibt. Walter Benjamin, GS II.1, Der Sürrealismus, S. 297, Frankfurt/M. 1991.

5 Bei Ovid heißt es »nomina sunt odiosa« – »Namen tun weh«. »Nomina sunt ipso paene timenda sono«- »Schrecken erregen sie mir, hör ich die Namen auch nur.« [Ovid, Werke in zwei Bänden, Aus dem Lateinischen übersetzt von Alexander Berg, Wilhelm Hertzberg, E. F. Mezger u. Reinhart Suchier. Herausgegeben von Liselot Huchthausen, Bd. 2, Briefe berühmter Frauen, Heroides, XIII. Laodamia an Protesilaus, S. 146, Berlin 1973.] Jener Ovidsche Schrecken durch Namen lässt sich ähnlich auch durch die kryptische Theorie der Namen Prousts vernehmen. Der Name »des holden Sängers im weißen Haar« Bergotte nimmt in der Narration der »Recherche« den Rang eines Ereignisses an: „Der Name Bergotte ließ mich auffahren wie der Knall eines auf mich abgeschossenen Revolvers, …“ [Marcel Proust, Im Schatten der jungen Mädchen, Übersetzt von Walter Benjamin und Franz Hessel, S. 122, in: Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, Übersetzungen, Supplement II, Hrsg. v. Hella Tiedemann-Bartels, Frankfurt/M. 1987.] Der Name geht Bergotte schockartig voran, bevor die Erzähler-Figur jenes Individuum identifizieren kann, das mit diesem Namen dem Erzähler vorgestellt wird: „Gleichwohl waren sechszehn Personen zugegen; daß sich darunter Bergotte befand, davon wußte ich nichts. Nachdem Frau Swann mich mehreren Gästen, wie sie es ausdrückte, genannt hatte, sprach sie plötzlich nach meinem Namen und in demselben Tonfall wie diesen (und als wären wir nur zwei Tischgenossen, die beide gleich froh sein müssten, einander kennen zu lernen) den Namen des holden Sängers im weißen Haar aus.“ [a. a. O., S. 121 f.] Der dritte Teil von »In Swanns Welt« (Ortsnamen. Namen überhaupt, S. 505-564, Frankfurt/M. 2000] berechtigt von einer »Theorie der Namen« sprechen zu dürfen. Auch wenn dort keineswegs eine solche artikuliert ist, deuten sich nichtsdestotrotz Konstellationen der Namen zum Begehren, zur Lust, dem Trieb, zum Wunsch und auch zur Angst an [Vgl. In Swanns Welt, Dritter Teil: Ortsnamen. Namen überhaupt, S. 505-564, Frankfurt/M. 2000.], zu denen Adorno, ohne jedoch dabei auf die Angst zu sprechen zu kommen, bemerkt: »Was metaphysische Erfahrung sei, wird, wer es verschmäht, diese auf angebliche religiöse Urerlebnisse abzuziehen, am ehesten wie Proust sich vergegenwärtigen, an dem Glück etwa, das Namen von Dörfern verheißen wie Otterbach, Watterbach, Reuenthal, Monbrunn. Man glaubt, wenn man hingeht, so wäre man in dem Erfüllten, als ob es wäre. Ist man wirklich dort, so weicht das Versprochene zurück wie der Regenbogen. Dennoch ist man nicht enttäuscht; eher fühlt man, nun wäre man zu nah, und darum sähe man es nicht. Dabei ist der Unterschied zwischen Landschaften und Gegenden, welche über die Bilderwelt einer Kindheit entscheiden, vermutlich gar nicht so groß. Was Proust an Illiers aufging, ward ähnlich vielen Kindern der gleichen gesellschaftlichen Schicht an anderen Orten zuteil. Aber damit dies Allgemeine, das Authentische an Prousts Darstellung, sich bildet, muß man hingerissen sein an dem einen Ort, ohne aufs Allgemeine zu schielen. Dem Kind ist selbstverständlich, daß, was es an seinem Lieblingsstädtchen entzückt, nur dort, ganz allein und nirgends sonst zu finden sei; es irrt, aber sein Irrtum stiftet das Modell der Erfahrung, eines Begriffs, welcher endlich der der Sache selbst wäre, nicht das Armselige von den Sachen Abgezogene. Die Hochzeit, bei der der Proustsche Erzähler als Kind zum ersten Mal die Duchesse de Guermantes erblickt, mag ganz so, und mit derselben Gewalt fürs spätere Leben, an anderer Stelle und zu anderer Zeit stattgefunden haben. Einzig angesichts des absolut, unauflöslich Individuierten ist darauf zu hoffen, daß es genau dies schon gegeben habe und geben werde; dem nachzukommen erst erfüllte den Begriff des Begriffs. Er haftet aber am Versprechen des Glücks, während die Welt, die es verweigert, die der herrschenden Allgemeinheit ist, gegen die Prousts Rekonstruktion der Erfahrung entêtiert anging. Glück, das einzige an metaphysischer Erfahrung, was mehr ist denn ohnmächtiges Verlangen, gewährt das Innere der Gegenstände als diesen zugleich Entrücktes. Wer indessen an derlei Erfahrung naiv sich erlabt, als hielte er in Händen, was sie suggeriert, erliegt Bedingungen der empirischen Welt, über die er hinaus will, und die ihm doch die Möglichkeit dazu allein beistellen.« Adorno, GS 6, Negative Dialektik, III. Meditationen zur Metaphysik, 4., S. 366 f., Ff/M. 2003. Vgl. Anders Bartonek, Philosophie im Konjunktiv, II. Das Utopische, 1. Spektrum des Utopischen, i) Metaphysik und das Messianische, Negative Metaphysik?, S. 209-216, Würzburg 2011.

6 Theodor W. Adorno, GS 4, Minima Moralia, Dritter Teil, Ne cherchez plus mon cœur, S. 191; GS 6, Negative Dialektik, Vorrede, S. 11; GS 20.1, Vermischte Schriften I/II, I. Theorien und Theoretiker, Zu Ulrich Sonnemanns »Negativer Anthropologie«, S. 264, Frankfurt/M. 2003.

7 Dank des Blogs fundgruber ehemals dr0fn0thing [#gesichtsphilosophie] wurde man auf diesen Neologismus »Gesichtsphilosophie« aufmerksam, der in der Tat keineswegs bloß ornamental auf ein eminent inhaltliches Problem kulturindustrieller Produktion verweist. Jedoch erst nachdem man seine erste Fehllese »Geschichtsphilosophie« realisierte, tat sich für einen selbst die plötzliche Erkenntnismöglichkeit durch diesen Begriff Gesichtsphilosophie auf. Vgl. auch: http://el.blogsport.de/2011/09/26/gesichtsphilosophie/

8 »Die Gefährlichkeit der großen Ebene« ist der Titel eines »Reise-Romans« von Ror Wolf. Man findet bei Ror Wolf desöfteren derartige Titel, die in ihrer makrologischen Tendenz auf eine Sprache der Theorie ironisch anspielen, die aber als Titel für Geschichten ausgewählt sind, in denen der Erzähler mittels eines extremen Nominalismus dementiert, was er im nächsten Moment behauptet. Es gibt keine Gewissheiten: »Fantasie und Realität sind gleichberechtigt oder anders gesagt: Das Fantastische ist zugleich das Reale.« Man selbst hat dies merkwürdig, aber gar nicht mal so sehr abwegig mit Walter Benjamins »Eiswüste der Abstraktionen« assoziiert, ebenso dachte man dabei an Brechts Mühen der Ebenen, dass nicht unbedingt als Metapher für die Arbeit an der Gesellschaftsordnung des DDR-Sozialismus interpretieren werden muss. Bertolt Brecht, Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Bd 15, Gedichte 5, Wahrnehmung (1949), 1993. S. 205. Ror Wolf, Die Gefährlichkeit der großen Ebene, Prosa III, Schöffling.

9 Obwohl man sehr wohl weiß, dass eine Denkmode allein nichts zur Sache tut, ist man nichtsdestotrotz noch lange nicht davon überzeugt, dass man mit dem Denken sich zu ihr völlig gleichgültig verhalten kann, bewegt sie sich doch im Zusammenhang mit Gesetzen, Formalitäten und Zwangssystemen, welche sich (in) den Charakter falten, deren Spuren zeitlebens bleiben; dennoch scheint es auch etwas völlig anderes zu sein. Die Wahrheit ihres Schilderns bürgt für die frappante Ähnlichkeit mit der sich einem die Jetztzeit kundgibt, die die Zeitgenossen freilich am besten zu beurteilen vermögen, die sich in haltlosen Faseleien über das historische Moment verstricken, aus denen sie dann doch wie verabredet wieder hervorkehren. Die Denkmode bürgt für sich, wie von sich selbst als frohe Mission, wo man mit fliegenden Puls spricht, es einem sozusagen aus dem Mund kommt, in dem Augenblick schon, da er sich auftut, ins Leere spricht, von der man bis dato noch nie richtig abschwören konnte. Auch wenn man sich bis hierher bloß allein verirrt haben sollte, muss das noch lange nicht besagen, dass es einen in die Vergangenheit schauenden Propheten mehr geben könne; doch wo trifft man noch solch einen Begabten an.

10 Vgl. Theodor W. Adorno, GS 10.2, Kulturkritik und Gesellschaft I/II, II, Eingriffe. Neun kritische Modelle, Meinung Wahn Gesellschaft, S. 578, Ff/M. 2003.

11 Claude Lanzmann lässt in seinen neuesten Film »Der Letzte der Ungerechten« (2013) seinen Protagonisten, den Wiener Rabbiner Dr. Benjamin Murmelstein sagen: »Eichmann war nicht banal. Eichmann war ein Dämon.«

12 Der seine Geburt in seinen Memoiren, die er während seiner Untersuchungshaft mit Worten eines ihm besonders eingefleischten, weil von ihm selbst internalisierten NS-Jargon benannte: das er „in das irdische Leben, als Erscheinungsform Mensch, eintrat“. Seine Behauptung hingegen vorm Jerusalemer Gericht nie ein Antisemit gewesen zu sein, kennt man aus dem Film Ein Spezialist [1999] von Eyal Sivan. Vgl. Eichmann-Prozess auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=Fv6xbeVozhU&list=PLCDC6A29830CCF910.

13 Theodor W. Adorno, GS 3, Dialektik der Aufklärung, Begriff der Aufklärung, S. 50, Frankfurt/M. 2003.

14 Karl Marx, MEW 1, Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, S. 386, Berlin 1976.

15 Vgl. Maurice Blanchot, Die wesentliche Einsamkeit, S. 143-159, in: Französische Essays der Gegenwart, Herausgegeben von Alain Lance und Maurice Regnaut, Berlin 1985. Maurice Blanchot, Der literarische Raum, Die wesentliche Einsamkeit, S. 11-27, Mit einem Anhang: Die wesentliche Einsamkeit und die Einsamkeit in der Welt, S. 261-264, Herausgegeben von Marco Gutjahr, Aus dem Französischen von Marco Gutjahr und Jonas Hock, Zürich 2012; oder: Maurice Blanchot, Das Neutrale. Philosophische Schriften und Fragmente, Herausgegeben von Marcus Coelen, Mit einem Vorwort von Jean-Luc Nancy, S. 93-109, Zürich/Berlin 2010.

16 Die kosmische Intimität geht über das psychische Interieur hinaus, nicht nur dass sie bereits durch das marxsche Unbewusste einen anderen Zeitkern gefunden hat, als in den Konstitutionsbedingungen des psychischen Apparates, der entgegen allem Anschein personal weder organisch noch ganzheitlich strukturiert ist, sondern den fragmentierten Hohlraum eines Ungeborenen aufweist, das sich als ein Unzerstörbares entdecken lässt, wenngleich es durch die systematische Tendenz der negativen Objektivität der gesellschaftlichen Vermittelbarkeit nur als ein leerer Knoten anerkannt werden kann, den man nur entdeckt, weil das Individuum als gesellschaftliches Ensemble bei aller Strukturiertheit weder sich gleich noch sich selbst dasselbe zu bleiben vermag. Was nicht das einzige Subjekt, als auch nicht das Einzige eines Subjekts ausmacht, weil das Subjekt bereits durch die An- und Abwesenheit des gegenständlichen Wesens wenn auch diskret, nichtsdestotrotz konkret exponiert ist.

17 Assoziiert man dies mit Adornos Kritik des Kierkegaardschen Begriffes von der »Innerlichkeit«, fällt auf, dass die Phrase »keinerlei Innerlichkeit« noch etwas zu ungenau angibt, was durch Dialektik vom subjektiven Moment auch als Dynamik von Außen und Innen, die als Graduationen des Immanenten zu begreifen sind, doch noch zu artikulieren wäre; was einem schon jetzt nur möglich erscheint, wenn man auf ein Denken im Sinne des spekulativen Satzes Hegels keineswegs verzichtet. Vgl. Theodor W. Adorno, GS 2, Kierkegaard. Konstruktion des Ästhetischen, bzw. II. Konstitution der Innerlichkeit, III. Explikation der Innerlichkeit, S. 38-98, Frankfurt/M. 2003. Vgl. Hermann Schweppenhäuser, Vergegenwärtigungen zur Unzeit?, Gesammelte Aufsätze und Vorträge, III. Spekulative und negative Dialektik, S. 163-177, Lüneburg 1986.

18 Man denkt hier vor allem an Kants Wort: „Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können; denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden könnte, welches eben so viel heißt, als die Vorstellung würde entweder unmöglich, oder wenigstens für mich nichts sein. Diejenige Vorstellung, die vor allem Denken gegeben sein kann, heißt Anschauung. Also hat alles Mannigfaltige der Anschauung eine notwendige Beziehung auf das: Ich denke, in demselben Subjekt, darin dieses Mannigfaltige angetroffen wird.“ Immanuel Kant, Werke in zwölf Bänden, Hrsg. v. Wilhelm Weischedel, Bd. 3, Kritik der reinen Vernunft, Zweiter Teil. Die transzendentale Logik, Erste Abteilung. Die transzendentale Analytik, Erstes Buch. Die Analytik der Begriffe, 2. Abschnitt. Die transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe, § 16. Von der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption, S. 136, Frankfurt/M. 1977.

19 Stichwort »Kamel«: Vgl. Nietzsche, W 2, Also sprach Zarathustra, Von den drei Verwandlungen, 293 f., München/Wien 1954; Vgl. Durs Grünbein, Das erste Jahr. Berliner Aufzeichnungen, 19. Januar, Ff/M. 2001: „Da so vieles, in Büchern und täglichen Zeitungsartikeln, mit denselben Worten, wie du sie benutzt, breitgetreten wird, bleibt dir nur, ihnen mehr aufzuladen, denselben Transportmitteln schwerere Lasten zum Tragen zu geben. Dasselbe Wort, das im Feuilleton wie ein possierliches Kätzchen gestreichelt und gleich wieder weggescheucht wird, leistet dir als Kamel bei deiner Wüstenwanderung durch das Dasein unschätzbare Dienste.“ Man selbst wird aber jenes Brimborium, das sich Grünbein für seine Kamele wünscht, seinen nicht zumuten.

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Dieser Text ist in einer veränderten Form in der HUch! Zeitung der studentischen Selbstverwaltung (an der Humboldt-Universität), Nr. 80 veröffentlicht. Dafür bin ich Janina Reichmann, die dort die redaktionelle Verantwortung trägt, dankbar. Die Fortsetzung des Essays soll auf diesem Blog folgen.

»Wie und wo geht‘s zum Leib der Vernunft?«

Nimmt man die Perspektive des Augustinus ein, dass »bei dem Tod, den die Seele besiegen muß«, es sich »nicht so sehr um den Tod« handelt, »der dem Leben ein Ende, als um den Tod, den die Seele unablässig erfährt, während sie in der Zeit ist« so erscheint die Überzeugung Schrebers vom »Seelenmord«,1 der an ihm mehrfach ausgeübt worden sei, zumindest als die schattenhafte Erkenntnis vom Wahrheitsgehalt der Aussage Augustinus. Auch wenn die paranoide Ansicht Schrebers eventuell nur ein verwirrter Ausdruck davon sein kann, was mit einem in der Tat in dieser Welt passiert, wird man als Schriftsteller mit modernem Neurosenleben nichtsdestotrotz sich von solchen förmlichen Gegebenheiten angreifen lassen müssen, indem man sich durch notwendige Präparation nicht nur in der verhaltenen Nähe zum unverfügbaren Moment des Ausdrucks sondern auch in der unendlichen Lektüre und zum ironischen Dispositiv der Schrift zu bewegen vermag.

1 Daniel Paul Schreber, Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken, Wiesbaden 1973, zit. n.: Roberto Calasso, Die geheime Geschichte des Senatspräsidenten Dr. Daniel Paul Schreber, Aus dem Italienischen von Reimar Klein, S. 27 bzw. S. 35, Frankfurt/M. 1980.